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Headhunter

Headhunter

Titel: Headhunter
Autoren: Jo Nesbo
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nickte und trank noch einen Schluck Wasser.
    Er
war etwa 14 Zentimeter
größer als ich und drei Jahre älter. Also 38. Etwas zu jung für den Job. Und
das wusste er, nur deshalb hatte er sich die Haare an den Schläfen unauffällig
grau getönt. Ich sah so etwas nicht zum ersten Mal.
    Hatte
schon Bewerber erlebt, die derart unter schwitzenden Händen litten, dass sie
sich ein bisschen Kalk in die rechte Jackentasche gestreut hatten und mir den
trockensten, weißesten Händedruck aller Zeiten boten. Landers Hals gab einen
unfreiwilligen Gluckslaut von sich. Ich notierte auf meinem Fragebogen:
MOTIVIERT, LÖSUNGSORIENTIERT.
    »Sie
wohnen also hier in Oslo?«, fragte ich.
    Er
nickte. »Skoyen.«
    »Und
Sie sind verheiratet mit...« Ich blätterte durch die Unterlagen und setzte die
irritierte Miene auf, die den Bewerbern signalisiert, dass sie jetzt die
Initiative übernehmen sollen.
    »Camilla.
Wir sind seit zehn Jahren verheiratet und haben zwei Kinder. Sie gehen zur
Schule.«
    »Und
wie würden Sie Ihre Ehe charakterisieren?«, fragte ich, ohne aufzublicken. Ich
gab ihm zwei lange Sekunden Zeit, und als ich bemerkte, dass er sich noch nicht
gesammelt hatte und mir die Antwort schuldig bleiben würde, fuhr ich fort:
»Glauben Sie, dass Sie noch immer zusammen sind, wenn Sie die nächsten sechs
Jahre zwei Drittel ihres wachen Lebens mit der Arbeit verbringen?«
    Ich
blickte auf. Sein Gesicht strahlte die erwartete Verwirrung aus. Ich war mit
voller Absicht inkonsequent gewesen. Ausgeglichenes Leben. Totaler Anspruch.
Das passte nicht zusammen. Es vergingen vier Sekunden, bis er antwortete.
Mindestens eine Sekunde zu viel.
    »Das
hoffe ich doch.«
    Sicheres,
routiniertes Lächeln. Aber nicht routiniert genug. Nicht für mich. Er hatte
meine eigenen Worte verwendet, und ich hätte ihm das als Pluspunkt angerechnet,
wäre die Ironie beabsichtigt gewesen. In diesem Fall handelte es sich aber nur
um das unbewusste Nachäffen einer Person, die er als überlegen einstufte.
SCHLECHTES SELBSTBILD, notierte ich. Und er »hoffte« - das hieß, er war sich
nicht sicher, skizzierte keine Visionen, blickte in keine Kristallkugel und
schien sich nicht darüber im Klaren zu sein, dass eine der Mindestanforderungen
an eine Führungsperson darin bestand, jederzeit den Eindruck hellseherischer
Fähigkeiten vermitteln zu können.
    KEIN
IMPROVISATIONSTALENT. KEIN CHAOSPILOT.
    »Arbeitet
sie?«
    »Ja,
in einer Anwaltskanzlei im Zentrum.«
    »Jeden
Tag, von neun bis vier?«
    »Ja.«
    »Und
wer bleibt zu Hause, wenn eines der Kinder krank ist?«
    »Sie.
Aber das passiert zum Glück höchst selten, Niclas und Anders sind ...«
    »Sie
haben also keine Haushaltshilfe oder sonst irgendjemanden, der Ihnen tagsüber
zur Hand geht?«
    Er
zögerte, wie es Bewerber tun, wenn sie unsicher sind, welche Antwort die richtige
ist. Trotzdem lügen sie enttäuschend selten. Jeremias Lander schüttelte den
Kopf.
    »Sie
sehen so aus, als würden Sie etwas für Ihre Fitness tun?«
    »Ja,
ich treibe regelmäßig Sport.«
    Dieses
Mal kein Zögern. Jeder weiß, dass Firmen keine Manager wollen, die bei den
ersten Schwierigkeiten einen Herzinfarkt bekommen.
    »Jogging
und Langlauf vielleicht?«
    »Ja, die ganze Familie
ist gern auf dem Land. Und wir haben eine Hütte im Norefjell.«
    »Ah ja, dann haben Sie
sicher auch einen Hund.« Er schüttelte den Kopf.
    »Nicht? Sind Sie
allergisch?«
    Energisches
Kopfschütteln. Ich notierte mir: EVENTUELL ETWAS HUMORLOS. Dann lehnte ich mich
zurück und legte die Fingerspitzen der beiden Hände aneinander. Natürlich eine
übertrieben arrogante Geste. Was soll ich sagen? Ich bin so.
    »Was
meinen Sie, welchen Wert hat Ihr Renommee, Lander? Und wie sind Sie versichert?«
    Er
zog seine bereits verschwitzte Stirn in Falten und versuchte, meine Frage zu
verstehen. Nach zwei Sekunden fragte er resigniert:
    »Wie
meinen Sie das?«
    Ich
seufzte, als läge das auf der Hand. Sah mich um, als suchte ich nach einer
pädagogischen Allegorie, auf die ich noch nicht zurückgegriffen hatte. Und fand
sie schließlich wie immer an der Wand.
    »Interessieren
Sie sich für Kunst, Lander?«
    »Nicht
sehr. Aber meine Frau.«
    »Meine
auch. Sehen Sie das Bild dort?« Ich zeigte auf »Sara gets undressed«, ein mehr
als zwei Meter hohes Gemälde auf Latex, das eine Frau in einem grünen Rock
darstellte, die sich gerade einen roten Pullover über den Kopf zog. »Ein Geschenk
von meiner Frau. Der Künstler heißt Julian Opie, und das Bild ist
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