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Headhunter

Headhunter

Titel: Headhunter
Autoren: Jo Nesbo
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für mich -, sie war schlecht in
Sprachen und gut im logischen Denken. Ihr Englisch war, gelinde gesagt,
holperig, und sie gestand mir lachend, dass es ihr nicht im Traum einfallen
würde, sich an Französisch oder Spanisch heranzuwagen. Ich hatte sie deshalb
gefragt, ob sie möglicherweise ein maskulines Hirn habe und Mathe möge. Sie
zuckte nur mit den Schultern, doch ich gab keine Ruhe und erzählte ihr von den
Aufnahmetests bei Microsoft, bei denen die Bewerber mit einer bestimmten
logischen Problemstellung konfrontiert wurden.
    »Es
geht dabei neben dem Ergebnis ebenso sehr um den Ansatz der Bewerber, darum,
wie sie an die Sache herangehen.«
    »Na,
erzähl schon«, sagte sie.
    »Primzahlen
...«
    »Warte.
Was sind das noch mal für Zahlen?«
    »Das
sind die Zahlen, die nur durch sich selbst und durch eins teilbar sind.«
    »Ach
ja.« Sie hatte noch immer nicht den abwesenden Blick, den Frauen gerne
bekommen, wenn man über Zahlen zu reden beginnt, so dass ich fortfuhr:
    »Primzahlen
sind häufig zwei aufeinander folgende, ungerade Zahlen. Wie elf und dreizehn.
Siebzehn und neunzehn. Neunundzwanzig und einunddreißig. Verstanden?«
    »Verstanden.«
    »Gibt
es Fälle, in denen drei aufeinander folgende, ungerade Zahlen Primzahlen sind?«
    »Natürlich
nicht!«, sagte sie und hob ihr Bierglas an.
    »Oh.
Und warum nicht?«
    »Du
hältst mich wohl für dumm? In einer Reihe von fünf aufeinander folgenden Zahlen
muss eine der ungeraden Zahlen durch drei teilbar sein. Erzähl weiter.«
    »Weiter?«
    »Ja,
was ist das für eine logische Problemstellung?«
    Sie
hatte einen kräftigen Schluck Bier getrunken und sah mich mit echter Neugier
an. Bei Microsoft hatten die Bewerber drei Minuten Zeit für den Beweis, den
sie mir in drei Sekunden geliefert hatte. Im Durchschnitt schafften das nur
fünf Prozent der Bewerber. Ich glaube, in diesem Moment habe ich mich in sie
verliebt. Auf jeden Fall erinnere ich mich, dass ich auf meiner Serviette
»EINGESTELLT!« notierte.
    Mir
war damals klar, dass dies der einzige Moment war, in dem auch ich ihre Liebe
gewinnen konnte. Stand ich auf, war der Zauber gebrochen, deshalb redete ich weiter.
Und redete. Hatte mich inzwischen verbal zu einer Körpergröße von 1 ,85 Meter
aufgeschwungen, denn reden kann ich. Aber als ich gerade in meiner besten
Phase war, unterbrach sie mich.
    »Magst
du Fußball?«
    »D-d-du
etwa?«, stammelte ich überrumpelt.
    »Die
Queens Park Rangers spielen morgen im Pokalwettbewerb gegen Arsenal.
Interesse?«
    »Aber
klar!«, sagte ich und meinte natürlich sie. Fußball ist mir völlig egal.
     
    Sie
trug einen blau gestreiften Schal und schrie sich im Londoner Nebel an der
Loftus Road heiser, während ihrem kleinen, armen Club QPR vom großen Bruder
Arsenal das Fell über die Ohren gezogen wurde. Fasziniert hatte ich ihr leidenschaftliches
Gesicht studiert und nicht mehr vom Spiel mitbekommen, als dass Arsenal hübsche
weiß-rote Trikots trug, während die von QPR blaue Querstreifen auf weißem Grund
hatten, wodurch die Spieler wie rennende Zuckerstangen aussahen.
    In
der Pause erkundigte ich mich, warum sie nicht zu einem Siegerclub wie Arsenal
hielt, sondern zu so einem komischen kleinen Verein wie QPR.
    »Weil
sie mich brauchen«, antwortete sie. Mit vollem Ernst. Weil
sie mich brauchen. Ich konnte die Weisheit
hinter diesen Worten kaum fassen. Dann lachte sie in ihrer typisch gurgelnden
Art und trank den letzten Schluck Bier aus ihrem Plastikbecher. »Die sind wie
hilflose Babys. Sieh sie dir doch an. Die sind so süß!«
    »In
Strampelanzügen«, sagte ich. »Soso, dann heißt dein Lebensmotto also: Lasset
die Kindlein zu mir kommen?«
    »Hm«,
antwortete sie, neigte den Kopf zur Seite und sah mich mit einem breiten
Lächeln an. »Das kann es vielleicht mal werden.«
    Wir
lachten. Laut und befreiend.
    An
das Ergebnis des Spiels erinnere ich mich nicht mehr. Oder doch: ein Kuss vor
den Toren eines strengen Mädchenwohnheims aus roten Ziegeln in Shepherd's
Bush. Und eine einsame, schlaflose Nacht mit wilden, wachen Träumen.
    Zehn
Tage später sah ich im flackernden Licht einer Kerze, die wir in eine
Weinflasche gesteckt und auf ihr Nachtschränkchen gestellt hatten, auf ihr
Gesicht hinab. Wir schliefen zum ersten Mal miteinander. Ihre Augen waren
geschlossen, die Ader auf ihrer Stirn schwoll an, und ihr Gesichtsausdruck
wechselte zwischen Wut und Schmerz, während ihre Hüftknochen wild auf mich
einhämmerten. Die gleiche Leidenschaft, mit der sie
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