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Hausverbot

Hausverbot

Titel: Hausverbot
Autoren: Mariola Brillowska
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Deutschland total anders sei als Polen. Das war nichts Neues. Seit tausend Jahren verstanden sich die Deutschen und die Polen nicht.
    Mein Onkel sagte alles dreimal. Er redete auf mich ein wie auf einen Außerirdischen. Er machte eine Führung durch seine kleine Dreizimmerwohnung. Im Bad zeigte er mir, wie man das Wasser mit dem Hahn aufdreht. Er zeigte mir, wie man warmes Wasser anstellt. Man sollte immer den Warmwasserboiler vor dem Wasserhahnaufdrehen anstellen und nach dem Wasserhahnzudrehen wieder ausstellen. Schön umständlich, aber nun gut. Er zeigte mir, wie man die Toilettenspülung betätigt. Er zeigte mir, wie man den Duschhahn auf- und zudreht. Im Wohnzimmer zeigte er mir, wie man den Fernseher mit der Fernbedienung ein- und ausschaltet und wie man die Programme wählt. In der Küche zeigte er mir, wie man den Wasserhahn auf- und zudreht. Dort gab es auch einen Warmwasserboiler, und man sollte den Boiler genauso wie im Bad vor dem Wasserhahnaufdrehen einschalten und nach dem Wasserhahnzudrehen ausschalten. Er zeigte mir die Tiefkühltruhe und den Inhalt. Na, verhungern würden wir jedenfalls nicht. Er führte mir seine Mikrowelle vor. Er zeigte mir, wie man den Elektroherd bedient. Er zeigte mir, wie man die Tür vom Kühlschrank auf- und zumacht. Er zeigte mir, wie schön die Fenster auf- und zugingen. Er zeigte mir, wie man ein Stück von der Küchenrolle abreißt. Er zeigte mir, wie man das Pedal des Mülleimers betätigt. Er öffnete die Tür zur Speisekammer. Er zeigte mir, wie man das Licht in der Speisekammer an- und ausschaltet. Das Ganze wurde immer irrer. Ich sagte die ganze Zeit entweder nichts oder Ja oder Aha oder Okay . Er zeigte mir noch, auf welchen Knopf man drücken sollte, wenn jemand klingelte, er zeigte mir, wie man die Wohnung auf- und zuschließt, übergab mir die Schlüssel und ging endlich zu seiner Arbeit. Dabei kündigte er noch an, dass er erst um zwanzig Uhr zurückkommen würde. Ich atmete langsam auf.
    Das Gelaber meines Onkels schallte nach. Das war eindeutig zu viel für mich. Ich stand wahrscheinlich unter Kulturschock. Ich hatte Jetlag. Ich hatte Heimweh. Ich hatte kein gutes Gefühl. Ich dachte an nichts anderes als nur daran, wie ich von meinem Onkel loskäme. Weil mir klar wurde, dass ich mich in einer prekären Situation befand. Das war hier nicht richtig. Falscher Flughafen, falsches Land, falsche Adresse, falsche Wohnung. Beim falschen Onkel gelandet. Der konnte mir nicht helfen. Der war doch von einem anderen Planeten, aber mal ehrlich. Das hatte ich eigentlich schon vorher gewusst. Mein Onkel war ein einfacher Mensch. Er kam in den sechziger Jahren als Spätaussiedler nach Deutschland. Zwanzig Jahre später konnte er ein Auto, einen Job, eine vollständig eingerichtete, gut funktionierende und mit Lebensmitteln und Getränken angefüllte Wohnung vorweisen. Er hatte es zu was gebracht. Weil er jeden Tag arbeitete, sogar an solchen Tagen, an denen er Verwandte vom Flughafen abholte. Und darauf war er stolz. Und das alles wollte er mir zeigen. Deswegen hatte er mich überhaupt zu sich eingeladen. Ich sollte nur deswegen zurück nach Polen, damit ich das auch den anderen erzählen konnte. Na schön. Leider kollidierte der Lebensstil meines Onkels mit meinem Weltbild. Mein Onkel war nichts anderes als ein Schlangensteher, bloß ohne Schlange. Dieser Materialismus ekelte mich an, davor war ich doch gerade geflüchtet. Ich überlegte, wie ich nun diese Lage, in der ich mich befand, für mein Ziel nutzen, ausnutzen, benutzen könnte. Auf jeden Fall sollte ich meinen Onkel nicht um Hilfe bitten. Er war gut für den Start. Ich wollte bei ihm ein paar Tage wohnen. Damit sparte ich die Hotelkosten. Ich sprach auch kein Deutsch. Für die ersten Tage war es doch ganz gut, bei dem Onkel zu bleiben. Ich musste klarkommen. Ich spürte, dass ich aus dieser Wohnung so schnell wie möglich ganz weit, weit weg in die Welt raus musste. Das wollte ich bloß meinem Onkel nicht ins Gesicht sagen, sonst wäre er sofort beleidigt, der kleine Elektriker vom Dienst. Gut, dass er abgehauen war, zu seinenLampen, Kabeln, Dosen, Steckern. Ich besann mich erst mal. Ich war noch nie in Westeuropa, ich war noch nie im Ausland gewesen. Ich musste nach der Ankunft ganz normal zu mir finden. Allein sein. Nachdenken. Diese kleine kapitalistische Sitzecke in der piefigen Küche kritisch betrachten. Zu einer Erkenntnis kommen. Die niederen Triebe des westeuropäischen Menschen mit denen jener Menschen
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