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Hausverbot

Hausverbot

Titel: Hausverbot
Autoren: Mariola Brillowska
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vergleichen, die mir bereits bekannt waren.
    Das Einzige, was mein Onkel bei seiner Wohnungsvorführung mit keinem einzigen Wort erwähnt hatte, stand im Wohnzimmer in der Ecke. Es war ein dunkelgrüner Telefonapparat, der mich brennender als alles interessierte. Ich hatte mich bereits in der kleinen kapitalistischen Küchensitzecke meines Onkels von seinem Vortrag erholt. Nun näherte ich mich dem Telefon. Ich nahm den Hörer ab. Ich lauschte. Das Telefon tutete. Das Telefon ging. Ich wollte jemanden anrufen. Ich wollte mich mitteilen. Ich wollte Hallo sagen. Ich war nun drüben. Ich hatte es geschafft. Ich hatte so viele Freunde in der Welt, zerstreut, überall. Aber leider wusste ich nicht, wie das deutsche Vorwahlsystem funktionierte.

II
    Drei Jahre später. Ich stand auf der namenlosen Brücke über dem Hamburger Hauptbahnhof. Zu meiner Rechten befand sich die Kunsthalle, zu meiner Linken das Schauspielhaus. In meinem Rücken zischten die Autos vorüber. Unter mir fuhren die Züge rein und raus. Hamburger, Pendler, Touristen, Migranten– sie alle stiegen da ein und aus.
    Ich kam öfters hierher. Diese Brücke war mein Kummerkasten. Ich sehnte mich, ich wusste nicht, wonach. Ich war aufgelöst. Ich empfand eine Mischung aus Heimweh und Identitätskrise. Wer war ich, wo gehörte ich hin, wohin ging ich des Weges, was wollte ich eigentlich erreichen im Leben? Ich wollte nicht zurück nach Polen. Dort krähte kein Hahn nach mir. Das war es nicht. Meine Heimat war jetzt in Deutschland, in Hamburg. Hier studierte ich Kunst, wie ich es mir vorgenommen hatte. Das hatte ja wunderbar geklappt, und es machte auch großen Spaß. Mein Leben hatte Sound und Laune, mein Streben Tiefe und Sinn. Nach Deutschland zu gehen war ein Volltreffer gewesen. Meine mich warnenden Landsleute hatten unrecht gehabt. Ich hatte nicht nur das beste Land erwischt, sondern auch noch die beste Zeit.
    Mit dem dunkelgrünen Telefonapparat, den mein Onkel in seiner debilen Wohnungsvorführung außer Acht gelassen hatte, hatte ich in der halben Welt herumtelefoniert, um meine über den Erdball verstreuten Freunde zu erreichen. Unermüdlich hatte ich recherchiert, tagelang, um herauszufinden, welche Stadt in Deutschland sich zum Kunststudieren am besten eignete.
    Die Wahl war auf Hamburg gefallen. Anfang der achtziger Jahre ging da was ab. Albert Oehlen, Werner Büttner und Martin Kippenberger studierten an der Hochschule für bildende Künste bei Professor Claus Böhmler. Sie waren Vertreter der angesagten Malerei-Bewegung › Neue Wilde‹, der sich auch Jörg Immendorff, A. R. Penck und Markus Lüpertz angeschlossen hatten, die als Teilnehmer der siebten Documenta von heut auf morgen weltberühmt wurden. Das Studieren an der Hochschule für bildende Künste am Lerchenfeld war absolut frei. Man konnte tatsächlich alles machen, was und wie man wollte. Man studierte auch so lange, wie es einem gefiel. Man hörte auf, wann man es für richtig hielt, meistens in dem Moment, wenn die Karriere losging. Und man bekam nicht mal einen Abschluss dafür. Weil man an dieser Hochschule der Meinung war, dass es nicht bescheinigt werden konnte, ob jemand ein freier Künstler geworden war oder nicht. Das konnte jeder sich nur selbst beweisen. Wenn man aber doch einen Abschluss hätte machen können, hätte man den nirgends gebraucht. Niemand stellte freie Künstler an. Diese Studienrichtung war ein sogenanntes Orchideenfach, auch wenn es total schwer war, einen Studienplatz für Freie Kunst zu bekommen. Nicht vergleichbar mit Kunstgeschichte, Soziologie, Kulturwissenschaften oder Philosophie. Für diese Orchideenfächer konnte man sich damals ohne Numerus Clausus einschreiben. Viele, die für die Freie Kunst beim ersten oder zweiten Mal nicht angenommen wurden, schrieben sich für ein Orchideenfach ohne Numerus Clausus ein, studierten aber Freie Kunst als Gasthörer.
    Am Lerchenfeld sollten die Bewerber für Freie Kunst am besten kein zeichnerisches oder malerisches Talent mitbringen. Sie sollten in die Bewerbungsmappe bloß keine Skizzen oder gemalte Bilder reinlegen. Willkommen waren dagegen Fotos, Schreibmaschinenseiten, Zettel mit kryptischen Konzepten, aufgeklebte Abfälle und Zeitungsausschnitte mit Politikerfressen, denen man ein Hitlerbärtchen verpasste. Weil ich schon die Aufnahmeprüfung an die Danziger Kunstakademie nicht bestanden hatte und diesmal auf Nummer sicher gehen wollte, fertigte ich für meine Bewerbungsmappe am Lerchenfeld eine Kollektion
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