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Hausverbot

Hausverbot

Titel: Hausverbot
Autoren: Mariola Brillowska
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konnten wir endlich zusammenwohnen. Ich ging weiterhin zur Schule, während mein Kindermädchen sich um unseren Haushalt kümmerte. Nach der Schule dachte ich über das Geldverdienen nach. Die Miete musste bezahlt werden. Anton übernahm meine Schulaufgaben. Das konnte er noch besser als den Haushalt. Er hatte das alles ja auch schon fünf Jahre zuvor gelernt gehabt.
    Anton brachte mir den Tee ans Bett, streichelte mir den Kopf, um mein Gemüt zu stärken. Ich nahm einen Schluck. Ich hatte Angst. Oha, da hatte ich mir was vorgenommen. Und ich hatte wirklich keine Ahnung, wie es ausgehen würde. Ich wollte nicht aufstehen. Aber wir müssten gleich raus, zum Zug nach Warschau. Von Warschau sollte ich nach Frankfurt fliegen. Welches Frankfurt? Natürlich nicht nach Frankfurt an der Oder. Wer wollte schon nach Frankfurt an der Oder in die DeDeEr, in die ÄnÄrDä. Jedenfalls kaum jemand aus Polen. Aus Polen ging man nicht in die Niemiecka Republika Demokratyczna. Aus Polen wollte jeder in die Niemiecka Republika Federalna, in die BeErDe. Viele wollten auch in die UE sA oder nach Kanada oder in die Republika Południowej Afryki, in die ÄrPäA, in die Republik Südafrika. Sie wollten nicht dahin verreisen. Verreisen tat niemand. Alle wollten dahin abhauen. Für Pass und Visum deklarierten sie sich aber als Touristen. Dennoch wollten sie im Ausland alle nur eins, dort bleiben. Und bevor sie drüben waren, dachten sie nur ans Abhauen.
    Ich trank den Tee und ging noch einmal alles gründlich durch, ob ich denn auch wirklich an alles gedacht und es auch eingepackt hatte und ob meine Reisepapiere in Ordnung waren. Ich schaute mir meinen Pass mit dem Visum für Deutschland an. Ich staunte immer noch, weil das mit dem Visum ganz schön abenteuerlich gewesen war. Ich war ein paar Tage zuvor nach Warschau gefahren, um das Visum direkt bei der deutschen Botschaft zu erwerben. Man konnte ein Visum auch über ein Reisebüro bekommen, aber irgendwie hieß es plötzlich, dass zu viele Leute ins Ausland wollten, und deswegen brauchten die Reisebüros dafür mehrere Wochen. So lange wollte ich nicht warten. Ich hatte sowieso schon zu viel Zeit verplempert. So gut wie alle meine Freunde, die diesen Sommer mit Abitur oder Studium fertig geworden waren, hatten bereits das Land verlassen. Sie waren weg, ins Ausland geflohen. Als Touristen verließen sie das Land gerade in Scharen, mit dem festen Ziel, nie wieder heimzukehren. Auf meiner Abschiedsparty vorgestern waren wir nur noch zu viert gewesen: Anton, Arek, Asia und ich. Arek und Asia hatten keine Devisen. Und ohne Devisen ging nichts. Beim Visumsantrag hatte man eine Bescheinigung vorzuzeigen, dass man einhundertfünfzig Dollar von der Bank abgehoben hatte, und diese Summe sollte man als Cash dabeihaben, wenn man ins Ausland reiste. Und wer denkt, dass einhundertfünfzig Dollar nur einhundertfünfzig Dollar waren, der irrt sich. Der durchschnittliche Nettoverdienst einer Lehrerin betrug damals sechzig Dollar im Jahr. Dass ich als gerade Zwanzigjährige einhundertfünfzig Dollar vom Konto abheben konnte, war nicht normal. Aber bei mir war nie irgendwas normal. Und alle anderen, die mit einhundertfünfzig Dollar in der Tasche abgehauen waren, hatten sich das Geld von ihren Eltern gepumpt. Die Eltern sparten seit der Geburt ihrer Kinder für die Hochzeit ihrer Kinder. Und diese sagten dann: Her mit dem Money, geheiratet wird später, hier geht nichts, wir müssen erst mal ins Ausland, damit aus uns was wird. Und da die Eltern, seit sie sich erinnern konnten, immer nur am Hungertuch nagten, gaben sie ihren Kindern recht, rückten das Ersparte raus. Und weg waren sie alle, eine ganze Generation junger Akademiker, die keinen Bock auf die Fehler ihrer Eltern hatte, die keinen Sinn darin sah, die wirtschaftliche Not des Staates auf den eigenen Schultern auszutragen. Und wer noch nicht weg war, der stand vor der deutschen, amerikanischen, kanadischen oder südafrikanischen Botschaft für ein Visum an.
    Die Warteschlange kringelte sich drei Mal um das Gelände der deutschen Botschaft, als ich dort ankam. Ich hörte mich um. Die Leute sagten, bis man drankäme, würde es mindestens drei Tage dauern. Klar schliefe man im Stehen. Irgendwie hielte man das durch. Nicht alle waren jung. Ich sprach einen in meinem Alter an. Es stellte sich heraus, dass er wie ich in Sopot wohnte. Das verband uns sofort. Wer aus Sopot kam, war cool. Der coolste aller Sopoter war Klaus Kinski. Der war auch der irrste von
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