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Hausverbot

Hausverbot

Titel: Hausverbot
Autoren: Mariola Brillowska
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vorstellig werden. Wer einmal die Schlange schwänzte, flog von der Liste. Er konnte dann noch mal ein halbes Jahr warten, bis die nächsten Kühlschränke geliefert wurden. Deswegen engagierten Berufstätige diese Schlangensteher, um sicherzugehen, dass sie endlich an einen Kühlschrank oder an eine Waschmaschine kamen.
    Ich verachtete diese Schlangensteher aufrichtig, als ich den wahrscheinlich allerletzten Tee in meinem Noch-Zuhause trank. Ich stand endlich auf, steckte meinen Reisepass in die Handtasche und war froh, dass alles gut gegangen war und Andrzej sich nicht als Betrüger herausgestellt hatte. Er war zwar nicht zu Hause, als ich den Pass bei ihm abholte, aber es gab keinen Haken. Alles war wirklich in Ordnung. Seine Mutter gab mir den Umschlag mit meinen Reisepapieren und weigerte sich, meinen Umschlag mit dem Taschengeld für Andrzej anzunehmen. Sie sagte, sie werde ihren Sohn wahrscheinlich lange nicht wiedersehen, ich solle mich lieber irgendwann melden, das habe aber Zeit. Da wusste ich, dass Andrzej bereits in Deutschland war. Ganz schön eilig hatte der es aber gehabt.
    Und jetzt kam auch für mich der Moment des Abschieds. Es war mir ganz schön mulmig zumute. Ich wusste zwar, wo ich nach der Ankunft unterkommen könnte, aber ich wusste nicht, wie lange ich wegbleiben, und vor allem nicht, ob mir Deutschland gefallen würde. Fast alle um mich herum rieten mir von Deutschland ab. Zwar fanden die meisten, dass es besser sei, in die BeErDe als in die DeDeEr zu gehen, trotzdem sagte keiner: Toll, da wünsche ich dir viel Glück! Einige trösteten mich: Keine Sorge, schlimmer als bei uns wird es dir nicht ergehen … Und der Mann meiner Polnisch-Lehrerin beschimpfte mich sogar: Du Verräterin, du gehst in das Land unserer Feinde!
    Anton kam mit nach Warschau. Wir saßen im Zugabteil und schwiegen. Er kam mir sehr fremd vor. Ich konnte mich nicht auf ihn einlassen, geschweige denn, mich an ihn rankuscheln. Ich war verspannt. Eigentlich hätten wir zusammen losziehen sollen. Eigentlich. Ich hatte die Reise aber anders angelegt. Nachdem ich im Sommer die Aufnahmeprüfung an die Danziger Kunstakademie nicht bestanden hatte, wusste ich, ein Jahr bis zur nächsten Aufnahmeprüfung wollte ich nicht warten. Ich war entschlossen, zu handeln. Ich hatte meinem Onkel in Frankfurt am Main geschrieben, dass ich ihn an Weihnachten gerne besuchen würde. Mir war klar, dass das ein guter Vorwand war. Weihnachten ist für die meisten Menschen ein Fest der Liebe, und sie würden sich schämen, wenn sie einem Verwandten an Weihnachten die Tür nicht öffneten. Mein Onkel hatte mich also nach Frankfurt eingeladen. Er hatte auch die genauen Ankunftszeiten erfragt, um mich vom Flughafen abzuholen. Diesbezüglich war das also ganz gut vorbereitet.
    In Warschau fuhr Anton auch noch im Taxi zum Flughafen mit. Nun war es so weit. Wir verabschiedeten uns sehr formell. Ich wollte es schnell hinter mich bringen. Keine Tränen, keine Zungenküsse, keine Umarmungen. Er winkte und ging. Nicht Anton ging. Es ging mein Kindermädchen. Ich sah meine Kindheit dahinschwinden. Ich spürte, wie man mir den Boden unter den Füßen wegzog. Ich merkte, dass ich mich in Bewegung setzen musste, bevor ich das Gleichgewicht verlor. Langsam ging ich rüber zum Check-in-Schalter. Ich hatte meinen Pass, ich hatte mein Ticket, ich hatte mein Geld. Ich war noch nie geflogen. Ich war noch nie im Ausland gewesen. Ich hatte mir das alles selbst ausgedacht, selbst vorgenommen, selbst eingebrockt. Dann mal los, machte ich mir Mut, rein in die Schleuse, Kopf hoch, junge Frau, stell dich dem Leben, rein in die Zukunft, Adrenalinproduktion an, schlimmer wird es nicht werden, haben jedenfalls viele gesagt. Wovor hatte ich denn Angst? Ich hatte doch ein Ziel in Deutschland, ich wollte Kunst studieren. Kunst sollte mich adoptieren. Kunst sollte meine Mutter im Ausland werden. Sie sollte mich wärmen, beschützen und nähren. Und eines Tages sollte sie mich sogar lieben. Da am Flughafen in Warschau war mir das alles so klar. Es gab kein Zurück. Ich konnte nicht in Polen bleiben. Nicht nur wegen der Stagnation. Nicht nur wegen der Schlangensteher. Nicht nur wegen der ökonomischen Aussichtslosigkeit. Nicht nur wegen der sich periodisch wiederholenden Krisen, seitdem Polen von Kommunisten regiert wurde. Nicht nur wegen der in Sackgassen herumirrenden Menschen. Nicht nur, weil ich mich nicht mit dem System arrangieren wollte. Letztendlich waren mir die
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