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Hausverbot

Hausverbot

Titel: Hausverbot
Autoren: Mariola Brillowska
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die DeDeEr ab. Die ostdeutschen Grenzbeamten benahmen sich gegenüber den Transitreisenden wie Gestapo, EsEs und EfBiAi in einem. Aus diesem Grunde wusste ich ganz genau, dass ich nach Frankfurt besser nicht mit dem Zug, sondern mit dem Flieger reisen sollte. Ich hatte zwar überhaupt nichts zu verbergen. Für die DeDeEr-Grenzler hatte aber eigentlich jeder was zu verbergen. Wenn man einem Menschen Angst einjagt, reagiert er panisch und begeht Fehler. Auf keinen Fall wollte ich in Kontakt mit der ostdeutschen Grenzkontrolle kommen. Ich hatte gehört, dass Leute wegen Bücherbesitz zurückgewiesen wurden. Nicht mal, dass sie irgendwelche Indexbücher dabeigehabt hätten. So was konnten die ostdeutschen Grenzler doch gar nicht beurteilen. Sie wiesen Bücherbesitzer grundsätzlich zurück. Weil sie wussten, dass die polnische Opposition ihre Bücher im Ausland druckte. Jeder, der ein Buch im Koffer besaß, war ein potenzieller Oppositioneller. Der Honecker wusste ganz genau, auf was für wackeligen Beinen das osteuropäische System stand. Als im August 1980 die unabhängige Arbeitergewerkschaft Solidarność gegründet wurde, dürfte Honecker dasselbe erlebt haben wie ich am Warschauer Flughafen, als mich meine Kindheit verließ: Der Boden unter seinen Füßen schien zu entkommen, und er hatte Mühe, das Gleichgewicht zu halten. Er vermerkte die ersten Risse in der Berliner Mauer und ließ von da an die DeDeEr-Grenzen besonders scharf kontrollieren. Nichts sollte seinen Lappen entkommen. Seine Bürger hatte er noch im Griff. Grundsätzlich durfte kein Ostdeutscher ins Ausland reisen, und jeder hielt sich auch daran. Wer aufmuckte, wurde deportiert, ob Wolf Biermann oder Manfred Krug. Mannomann. Diese DeDeEr-ler ließen das alles mit sich machen. Die Polen gingen einfach in den Generalstreik, wenn der Staat sie zu stark bevormundete. Dann ging nichts mehr, keiner arbeitete, und die Regierung musste nachgeben. Aber nicht so in Ostdeutschland. Da spionierte jeder jeden aus, und jeder verdächtigte jeden. Nicht gerade human, aber es musste sein, damit Ruhe im Karton war und keiner die überall zu kommunistischen Funktionären umbenannten Naziverbrecher denunzierte. Und wer seinen Nachbarn nicht denunzierte, dem nahm der Staat seine Kinder weg. Honecker konnte es kaum fassen, dass man das polnische Pack seit tausend Jahren nicht unterkriegte. Als hätte der Zweite Weltkrieg nichts genutzt.
    Und wenn ich schon meine Heimat verlassen musste, wollte ich wenigstens meine drei Lieblingsbücher mitnehmen. Verdammt noch mal! Mir war es eben total wichtig, ›Über das Glück‹ und die ›Geschichte der sechs Begriffe‹ von Tatarkiewicz sowie den ›König der Könige‹ von Kapuściński dabeizuhaben. Sollte ich mich etwa vorm Ossigrenzler rechtfertigen, dass diese Bücher keinen osteuropäische Politik bedrohenden Inhalt besaßen und ich sie dabeihaben musste, weil es sie nicht auf Deutsch gab? Wenn ich aber 1981 gewusst hätte, dass diese drei Bücher alsbald doch ins Deutsche übersetzt werden sollten und ich die deutsche Sprache wie meine Muttersprache erlernen würde, hätte ich auf die Reise mit dem Flugzeug verzichten können. Das Ticket war nämlich dreimal so teuer wie die Reisedevisen. Mit dem Zug wäre ich zwar fünfundzwanzig bis dreißig Stunden unterwegs gewesen, dafür aber um einiges erfahrener geworden. Ich hätte dann über die ostdeutschen Grenzkontrollen richtig herziehen können. Leider kann ich bis heute nur das sagen, was ich gehört habe. Und was meine drei aus Polen mitgebrachten Bücher angeht: Sie sind, wie gesagt, inzwischen tatsächlich allesamt ins Deutsche übersetzt worden. Ich empfehle sie wärmstens zur Lektüre. Besonders ›König der Könige‹ über den Niedergang des äthiopischen Kaisers Haile Selassie.
    Nachdem ich alle Pass- und Zollkontrollen problemlos überstanden hatte, hörte ich eine Durchsage, dass sich der Flug nach Frankfurt wegen Schneesturms um zwei Stunden verzögern würde. Verdammt, dachte ich, hoffentlich komme ich überhaupt von da weg. Das wäre nämlich furchtbar gewesen, wenn ich doch zurück nach Sopot hätte fahren müssen. Ich hätte mich, glaube ich, von Anton getrennt, und einer von uns hätte ausziehen müssen. Oder wir hätten das wahrscheinlich doch nicht getan, er aus ökonomischen, ich aus Gewohnheitsgründen. Ich hätte an meinem Kindermädchen festgehalten, das sowieso nicht gewusst hätte, wovon es die Miete bezahlen sollte. Die Stimmung zwischen uns war
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