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Hausverbot

Hausverbot

Titel: Hausverbot
Autoren: Mariola Brillowska
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Schlangensteher egal. Ich wollte mich mit dem ganzen Einkaufen nicht befassen. Es gingen mir Kühlschränke und Waschmaschinen am Arsch vorbei. Ich putzte nicht mal selber mein Klo. Mein Kindermädchen hatte das bisher für mich gemacht. Aber das musste jetzt anders werden. Und deswegen musste ich raus. Ehrlich gesagt, Anton war ja wirklich lieb und die erste und einzige Person, von der ich bisher Liebe bekommen hatte, aber wo stand er denn mit seinen fünfundzwanzig Jahren? Nirgendwo. Bei ihm brannte es nicht wie bei mir. Ihm reichte es, dass er mein Kindermädchen war. Mir reichte das nicht. Ich wollte erwachsen werden, unabhängig sein, geistig und ökonomisch. Ich ging nach Deutschland, es sollte kosten, was es wollte. Ich sprach zwar so gut wie kein Deutsch, aber ich hatte einen Onkel dort, der mich vom Flughafen in Frankfurt am Main abholen wollte. Und das war wirklich nicht so übel. Auf alle Fälle besser, als wenn ich einen Onkel in Frankfurt an der Oder gehabt hätte, oder? Mit einem Onkel in Frankfurt an der Oder hätte ich nichts anfangen können. Da hätte ich keinen Fuß vor die Tür setzen brauchen. Und weil ich in diesem Moment zu meinem eigenen Kindermädchen mutierte, sagte ich mir, sei tapfer, Lola, trau dich an den Grenzübergang ran, rein mit dir in die Lebensschleuder, in zwei Stunden bist du drüben, da wirst du sehen, was dich erwartet, und ob es stimmt, wovor dich deine Landsleute gewarnt haben.
    Die Reiseabfertigung verlief völlig harmlos. Und keiner wollte irgendwelche Dollars sehen. Hätte ich sie bloß Anton gelassen. Der war gerade total pleite. Er hatte auch keine Idee, wovon er demnächst überhaupt leben sollte, so ganz ohne mich. Nachdem wir zusammengezogen waren, war ich diejenige, die sich um die Finanzen kümmerte. In den letzten Monaten war ich besonders aggressiv hinter dem Geld her gewesen. Ich musste diese einhundertfünfzig Dollar fürs Konto zusammenkriegen und auch noch das Flugticket kaufen. Anton mochte meinen Eifer nicht. Mein Eifer bedeutete Arbeit für ihn. Er war ganz einfach nur ein gemütlicher Hippie. Alles machte er langsam und ohne Plan, ohne Strategie. Ohne mich war der Typ im Leben echt nichts. Das hatte ich sofort gemerkt. Mein Kindermädchen hatte zwar keine zwei linken Hände, im Gegenteil, es hatte zwei rechte Hände. Es hatte aber keine einzige linke Gehirnhälfte, dafür hatte es zwei rechte. Handwerklich war Anton ein Genie, aber Geldverdienen interessierte ihn nicht. Der Volksmund verbreitet seit jeher die These, dass Künstler keinen Geschäftssinn zu haben brauchen. Das stimmt nicht ganz. Meistens wurden nur die Künstler berühmt, die auch Ateliers mit Angestellten betrieben. Da Vinci, Michelangelo, Donatello, Raffaello, Giotto.
    Jeden Tag nach der Schule hatte ich darüber nachgedacht. Im Kunstgeschichtsunterricht lernte ich Fakten über das Entstehen von Kunst. Aus diesen Fakten zog ich Schlüsse über die damalige Situation der Künstler und übersetzte sie in meine Zeit. Die Ateliers der Renaissancemaler beschäftigten Schüler in meinem Alter. Das hieß, dass Anton und ich einer adäquaten Beschäftigung nachgehen sollten. Also nahmen wir bei einem älteren Hippie einen Job als Kerzenpolierer an. Das war nun die sozialistische Entsprechung zum Künstleratelier von früher. Ich hatte diesen Hippie ausführlich befragt, wie sein ›Geschäft‹ funktionierte. Wieso er es sich leisten konnte, dass wir seine Kerzen polierten, und wie er diese Kerzen loswurde. Und es war alles ganz einfach. Der Hippie hatte sich in der Handwerkskammer als Volkshandwerker angemeldet und durfte sein Zeug über Fachmessen verticken. Als mir Anton zum Frauentag eine Tonkette schenkte, die er mit Keramikfarben angemalt hatte, machte es bei mir klick. Ich sah mir die Kette an und dachte, echt, sieht aus wie Massenware, also professionell, wie aus einem Geschäft. Ich hielt Antons Kette in den Händen und hatte bereits einen Plan. Anton musste sich auf mein Drängen hin als Volkshandwerker eintragen lassen. Ich schickte seine Kette zur Messe. Einen Monat später hatten wir die ersten Bestellungen. Diese Bestellungen waren nie groß, und wir konnten gerade so überleben. Aber wir brauchten nicht mehr Kerzen zu polieren.
    Außer Tonketten boten wir auf Messen auch Handpuppen sowie Broschen in Form von Salamandern und Fliegen an. Alles ging sehr zäh vonstatten. Wir verdienten eindeutig zu wenig Geld. Die Steuern waren viel zu hoch. Wir konnten uns keine Maschinen leisten und
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