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Hausverbot

Hausverbot

Titel: Hausverbot
Autoren: Mariola Brillowska
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allen. Als Kinski in Sopot als Nikolaus Günther Nakszynski geboren wurde, hieß die Stadt noch Zoppot, gehörte zu Danzig und war halb polnisch, halb deutsch. Zoppot heißt jetzt Sopot, ist nur noch polnisch und so was wie das Las Vegas von Osteuropa in der Danziger Bucht. Und jetzt kommt der Clou: Nach mir ist dort keiner mehr geboren worden, weil Sopot danach kein Frauenkrankenhaus mehr hatte. Sopot hat ja auch nur fünfzigtausend Einwohner. Eigentlich ist Sopot so was wie ein Stadtteil von Danzig. Da aber fast alle Sopoter diese Kinski-Allüren haben, wollen sie nicht ein Teil der Masse sein. Sie wollen ihre eigene Stadt sein. Nach Sopot kann nicht jeder ziehen. Die Einwohnerzahl wird bei fünfzigtausend gehalten. Wenn eine hochschwangere Sopoterin niederkommen will, muss sie sich nach Danzig in die Frauenklinik begeben. Das ist auch nicht weit, fünf bis zehn Kilometer höchstens, je nachdem, an welcher Stelle in Sopot die Wehen einsetzen. So kann die Einwohnerzahl ganz gut reguliert werden. Nicht jede Frau will nämlich dort wohnen, wo sie ihre Kinder nicht gebären kann. Und weil ab und an ein Sopoter stirbt, darf dann auch ein in Danzig geborenes Kind einer Sopoterin in Sopot gemeldet werden. Zur Welt aber kommt in Sopot keiner mehr. Denn wer macht heutzutage noch Hausgeburten? Ich glaube, kaum eine Sopoterin. Das alles brauchte ich dem Andrzej aus Sopot, wie er sich vorgestellt hatte, natürlich nicht zu erklären. Diese Geschichten sind Standard für Touristen in der Gaststätte Kinski, die sich direkt am Sopoter Hauptbahnhof befindet. In die Baroberfläche ist Kinskis Geburtsurkunde aus Bronze eingegossen, die von den polnischen Behörden 1994 postum ausgestellt wurde. Das Lokal wird tatsächlich im Geburtshaus Kinskis betrieben, in dem angeblich auch die Originalurkunde vorgefunden wurde. Der Gaststättenbetreiber hatte die Behörden für das nachträgliche Ausstellen der Urkunde genauso geschmiert wie dafür, dass er das Haus überhaupt anmieten durfte.
    - Und ich heiße Lola.
    - Wie, du heißt Lola? Niemand heißt in Polen Lola. Als Lola hat man doch keinen Namenstag.
    Ich zuckte mit der Schulter und zeigte ihm meinen Pass.
    - Was?! Das glaube ich nicht, tatsächlich. Aber wie kommt es, dass du in Sopot geboren bist?
    - Die Frauenklinik in Sopot wurde drei Monate vor meiner Geburt in ein Lungenkrankenhaus umgewandelt. Meine Mutter wusste das nicht. Sie wurde dort trotzdem entbunden, ging nicht anders, war schon alles viel zu spät. Und das mit meinem Vornamen passierte, weil meine Mutter mich eigentlich Jola nennen wollte, eben nicht Jolanta, sondern einfach Jola. Eine Krankenschwester hatte den Namen mündlich aufgenommen und anscheinend unleserlich notiert. Meine Mutter verstarb bei meiner Geburt, und die Namensfrage konnte deshalb niemals geklärt werden. Das Standesamt trug dann Lola statt Jola in die Geburtsurkunde ein.
    - Woher weißt du das alles, wenn deine Mutter bei deiner Geburt verstorben ist?
    Ich wollte ihm gerade seine Frage beantworten, als eine Botschaftsangestellte vor die Tür trat und Visumsantragsformulare verteilte. Sie sammelte auch ausgefüllte Formulare und Pässe ein. Dann ging sie wieder in die Botschaft. Andrzej sagte:
    - Sie wird in einer Stunde wieder rauskommen. Dann kannst du dein Formular mit Fotos, den Gebühren und dem Pass abgeben.
    Andrzej erklärte jetzt genauer das Prozedere vor der Botschaft. Viele, die da in der Schlange anstanden, standen nicht für sich selbst an, sondern für Geld. Er wiederum sei im Team mit zwei Kumpels, und sie würden sich alle acht Stunden abwechseln. Er half mir, das Formular auszufüllen. Dann bot er an, er könne in drei Tagen auch meinen Pass abholen und nach Sopot mitbringen. Dann brauchte ich nicht die ganze Zeit vor der Botschaft zu warten. Tolles Angebot. Wo war bloß der Haken an der Sache? Aber da war diese gewisse Verbundenheit zwischen uns. Ich spürte, dass er wirklich wie ich entschlossen war, aus Polen abzuhauen, und dass er kein Schlangensteher war wie alle anderen um uns herum. Diese Leute lebten davon, dass sie tage- oder wochenlang in der Schlange für Waren oder für Visa anstanden. Wegen ihnen funktionierte das ganze Versorgungssystem in Polen nicht. Sobald ein Laden beliefert wurde, standen sie schon da und kauften alles auf und verkauften es weiter. Für Fernseher oder Kühlschränke trugen sich die Bürger auf Wartelisten ein und mussten bis zur Lieferung, die einen Monat später war, jeden Tag erneut morgens
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