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Ach waer ich nur zu Hause geblieben

Ach waer ich nur zu Hause geblieben

Titel: Ach waer ich nur zu Hause geblieben
Autoren: Kerstin Gier
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Fürchte dich nicht
oder die Angst vor der Angst
    Ich bin ein Angsthase. Vor allem auf Reisen. Neben der Angst, nicht genug Unterhosen eingepackt zu haben, und der Angst, den Herd nicht ausgeschaltet zu haben, habe ich noch diverse andere Ängste vorzuweisen, die man alle unter einer Art Oberangst zusammenfassen kann: der Angst, nicht mehr nach Hause zu kommen. Ich habe im Internet recherchiert, um mit den passenden Fachbegriffen prahlen zu können, aber diese Ängste konnte ich leider nicht finden. Das hat mich doch sehr erstaunt, weil ich sie für weiter verbreitet hielt als zum Beispiel die Aulophobie, die Angst vor Flöten, oder auch die Geniophobie, die Angst vor einem Kinn. (Ist allerdings schon furchterregend, so ein Kinn! Besonders, wenn ein Grübchen drin ist.)
    Es hat mich auch gewundert, dass die Angst, im entscheidenden Moment das Bahnticket nicht finden zu können, keinen eigenen Namen hat, im Gegensatz zur Lachanophobie, der Angst vor Gemüse, oder der Medecophobie, der Angst, man sähe seine Erektion an der Ausbeulung der Hose. Hallo?
    Ich kann doch unmöglich die Einzige sein, die das Ticket zwanzigmal in einem sicheren, aber schnell zugänglichen Fach in der Handtasche verstaut und dreißigmal in der Minute nachschaut, ob es auch noch da ist, um dann,wenn der Schaffner kommt, fünf Minuten danach suchen zu müssen. Oder doch?
    Und warum muss man den Fahrschein auf der Strecke Köln-Lüneburg gleich dreimal vorzeigen? Ich hätte gar nichts dagegen, wenn man mir einen Mikrochip unter die Haut nähte, auch wenn Datenschützer vermutlich dagegen heftig protestieren würden. Der Schaffner könnte mich einfach scannen, und der Fahrpreis würde automatisch von meinem Konto abgebucht. Herrlich. Aber solange das nicht passiert, muss ich wohl weiterhin zusammenzucken, wenn jemand »Personalwechsel: Die Fahrkarten bitte«, sagt, um dann hektisch alle sicheren, aber dennoch leicht zugänglichen Fächer in meiner Handtasche abzusuchen.
    Nicht selten wird als zusätzliche Schikane der vordere Zugteil auf halber Strecke abgekoppelt und fährt dann ganz woanders hin als der hintere Zugteil, da muss man höllisch aufpassen, sonst ist die Fahrkarte, wenn man sie endlich gefunden hat, gar nicht mehr gültig.
    Zu allem Überfluss ist man im Zug von lauter mürrisch dreinschauenden Männern umgeben, die ununterbrochen telefonieren und Laptops auf dem Schoß haben, wahrscheinlich um ihre Medecophobie zu kaschieren.
    Im Flugzeug ist das schon deutlich angenehmer. Kein Halt in Hagen Hauptbahnhof, kein Umsteigen in Hannover, kein Personalwechsel in Wuppertal, kein Abkoppeln des vorderen Zugteils in Bielefeld. Wenn man einmal sitzt, muss man sich um das Ticket keine Sorgen mehr machen. Man kann sich zurücklehnen und entspannen.
    Es sei denn man leidet an Flugangst, auch Aviotophobie genannt.

Aviotophobie
oder die Angst vor Menschen,
die noch mehr Angst haben als man selber
    Du hast Flugangst? Wirklich?«, sagt Gina und lacht. »Wie lustig!«
    »Nicht, wenn man in einem Flugzeug sitzt«, sage ich. Meine Handflächen sind feucht, mein Magen schmerzt. Lieber Gott, ich will noch nicht sterben. Und die anderen sicher auch nicht. Verstohlen sehe ich mich um: In diesem Flugzeug werden doch hoffentlich ein paar Menschen sitzen, die in ihrem Leben noch Großes vollbringen werden, Menschen, die heute auf keinen Fall abstürzen dürfen, weil das Schicksal noch Pläne mit ihnen hat.
    »Flugangst! Eine erwachsene Frau!« Gina schüttelt lachend den Kopf. Es würde mich wundern, wenn das Schicksal mit ihr noch große Pläne hätte, aber die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt. »Wovor genau hat man denn da Angst?«
    Vivi, die den Fensterplatz bekommen hat, murmelt: »Vermutlich davor, zwei Stunden neben jemandem sitzen zu müssen, der nach Trésor riecht.«
    »Also, ich liebe das Fliegen!«, sagt Gina, die so viel Trésor aufgelegt hat, dass auch die Leute ganz hinten im Flugzeug noch was davon haben. »Immer schon! Ich finde es einfach faszinierend, wie so ein riesiges Ungetüm aus Stahl voller Menschen und Koffer sich mir nichts, dir nichts in die Luft erhebt und in zwei Stunden die Alpen überquert.«
    Ja, ja. Eben deshalb kommt es mir auch immer durchaus vernünftig vor, das Flugzeug zu nehmen, wenn man die Alpen überqueren will. Jedenfalls bei der Reise planung . Wenn es dann wirklich soweit ist, würde ich für die Überquerung lieber Elefanten nehmen.
    »Angst vorm Fliegen! Eine erwachsene Frau!« Gina schlägt sich vor Lachen
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