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Donnergrollen: Der fünfte Fall für Jan Swensen (German Edition)

Donnergrollen: Der fünfte Fall für Jan Swensen (German Edition)

Titel: Donnergrollen: Der fünfte Fall für Jan Swensen (German Edition)
Autoren: Wimmer Wilkenloh
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Dänemark 1941
     
    Vom Hafen dröhnt das Rollen der
Wellen herauf. Am Himmel türmen sich riesige Gebirge aus Kumuluswolken. Aase Stræde
presst die kleinen Kronenstücke fest in ihrer rechten Faust. Das blonde Mädchen
spürt auf ihrer Handfläche die runden Löcher in der Mitte der Münzen und hastet
über den Sandweg an den geduckten Fischerhäusern vorbei, die sich dicht an dicht
zu beiden Seiten der schmalen Schotterstraße reihen. Alle Haustüren und Fenster
stehen weit offen. Die dunklen Rechtecke in den weißgekalkten Wänden wirken bedrohlich,
Monsteraugen mit flackernden Petroleumpupillen, die Aase unheilvoll hinterherschauen.
Ihre Schritte werden schneller, sie heftet ihren Blick ängstlich auf die unebene
Erde und summt leise gegen die Angst an. Auf den Hügeln von Hansted geht etwas vor,
das weiß Aase ganz genau, denn der heutige Tag ist anders als die Tage der letzten
Wochen. Schon gestern hatte der Lehrer der Klasse schulfrei gegeben, für den ganzen
morgigen Donnerstag. Wegen der Kanonen, hatte er gesagt und keinerlei Fragen zugelassen.
    »Die Deutschen
wollen morgen mit den Kanonen schießen.« Die Worte sagte die Mutter beim Zubettgehen.
Sie sind am frühen Morgen wieder in Aases Kopf, gleich nachdem sie die Augen aufgeschlagen
hatte.
    Heute schießen
sie mit den Kanonen, heute schießen sie mit den Kanonen, hat sie immer wieder gedacht
und ängstlich auf die Lichtstreifen an der Wand gestarrt, die durch einen Schlitz
im Vorhang fielen. Sie hat durch die Tür gehört, wie der Vater und ihr großer Bruder
in der Küche mit der Mutter sprachen. Es war schon hell und sie waren noch im Haus.
Normalerweise waren sie mit dem Kutter schon auf dem Meer, lange bevor Aase aufwachte.
    Als sie
die Vorhänge aufgezogen hatte, war eine Schar deutscher Soldaten in schilfgrünen
Uniformen am Fenster vorbeimarschiert. Aase beobachtete die Deutschen vom Fenster
aus, wie sie seitwärts den Hang hinauf zu den Häusern am Hügelrand stapften, dann
dort oben von Tür zu Tür gingen und kurze Zeit später die Bewohner ihre Wohnungen
Hals über Kopf verließen. Mit Koffern und Pappkartons beladen zog eine Menschenlinie
in Richtung Dorfmitte. Das Mädchen konnte erkennen, dass sie beim Weggehen alle
Türen und Fenster offenließen. Als sie panisch in die Küche stürmte und ihren Vater
danach fragen wollte, erntete sie nur einen versteinerten Blick. Mutter legte blitzschnell
den Finger an den Mund, schob sie vor sich her zur Haustür und flüsterte: »Dein
Vater und dein Bruder dürfen nicht zum Fischen rausfahren …, heute. Die Deutschen
haben es verboten.«
    Danach hat
die Mutter ihr die Kronen und den Auftrag gegeben, in den Kaufmannsladen von Jørgen
Rosen zu gehen und ein grobes Vollkornbrot und ein kleines Stück Bratfett mitzubringen.
    Beim Verlassen
des Hauses hatte ihre Mutter die Haustür hinter ihr offen gelassen. Aase ist schon
ein paar Meter gegangen, da hat sie gehört wie auch die Fenster geöffnet wurden.
In den Häusern in der nächsten Gasse sind ebenfalls alle Türen und Fenster geöffnet.
     
    Jetzt sieht das Mädchen, dass es
überall genauso ist. Im ganzen Fischerdorf, egal wo Aase entlangkommt, sind die
Türen und Fenster in den Häusern sperrangelweit offen.
    Wollen die
Deutschen in die Wohnungen gucken?
    Wohin wollen
sie mit den Kanonen schießen?
    Müssen wir
alle sterben?
    Aase ist
erleichtert, als sie auf dem Dorfplatz gegenüber von Jørgen Rosens Laden mehrere
deutsche Militärlastwagen stehen sieht, um die herum eine Schar Soldaten lungert
und Zigaretten raucht.
    Hierher
werden die Kanonen bestimmt nicht schießen!
    In einer
langen Reihe liegen Tornister und Stahlhelme am Boden, dazwischen jeweils drei Gewehre,
die mit den Läufen aneinandergestellt sind. Aus einiger Entfernung beobachten Anwohner
argwöhnisch die Ansammlung der Deutschen. Die meisten dänischen Männer haben die
Hände in den Hosentaschen, starren wortlos auf die unbeliebten Besatzer, und ab
und zu spuckt einer vor ihnen aus. Aase drückt sich vorsichtig an den Leuten vorbei
und stößt die Tür zum Kaufmannsladen auf. Die Türglocke scheppert hell durch den
Raum.
    »Die Tür
offenlassen, Mädchen! Wer hat die denn schon wieder zugemacht«, ruft der Mann mit
der blauen Schürze hinter dem hölzernen Verkaufstresen herüber. Herr Rosen hat einen
kleinen Bauch und eine rötliche Narbe auf seiner Glatze. Aase mag Herrn Rosen nicht
besonders, denn der war öfter unfreundlich zu ihr, besonders wenn Mutter ihr aufgetragen
hatte,
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