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Donnergrollen: Der fünfte Fall für Jan Swensen (German Edition)

Donnergrollen: Der fünfte Fall für Jan Swensen (German Edition)

Titel: Donnergrollen: Der fünfte Fall für Jan Swensen (German Edition)
Autoren: Wimmer Wilkenloh
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Anhieb sein Alter zu schätzen.
Das Gesicht ist wettergegerbt, macht ihn älter, und viele Menschen, wenn sie ihn
sehen, sind überzeugt, dass er noch nie hinter einem Schreibtisch gesessen hat.
    Er ist an
diesem Mittwochmorgen bereits in aller Herrgottsfrühe unterwegs, obwohl er erst
um drei Uhr nachts im Klitmøller Kro angekommen ist. In dem vor Jahren geschlossenen,
schon völlig heruntergekommenen Badehotel hat seine dänische Freundin eine einsame
Wohnung gemietet, sie kann dort solange wohnen, bis das riesige Gebäude in nicht
allzu ferner Zukunft endgültig abgerissen werden wird. Der Schlüssel lag wie immer
unter dem schneeweißen Stein mit dem kleinen Loch in der Mitte, wie man sie hier
oft an den Stränden finden kann. Er tappte auf Zehenspitzen durch die Wohnung, um
dann verwundert festzustellen, dass niemand im Haus war. Grübelnd war er ins verwaiste
Bett gestiegen und hatte über eine Stunde keinen Schlaf gefunden. Die Dünen von
Klitmøller sind zum Greifen nah, und die Meeresbrandung hatte ihn bereits in der
Morgendämmerung wieder aus dem Bett gerufen.
    Die monotone
Stimme des Meeres erreicht sofort seine Seele, flüstert ihn augenblicklich hellwach.
Das Wetter ist stürmisch, und er sieht bereits die Brecher vor sich, wie sie donnernd
mit gischtfransigen Hauben an den Strand spülen, sodass der Sand unter ihnen wie
ein Hornissenschwarm zu summen beginnt.
    Im Gegensatz
zu seiner Mutter ist für Oleander das Meer der Inbegriff allumfassender Freiheit.
Salziger Dunst in der Luft treibt ihn ans Wasser, egal in welchem Land er sich gerade
befindet, nur mit dem Wasser fühlt er sich eins, eins mit sich und der Natur. Aus
Wasser besteht der Mensch, Wasser fließt mit seinem Blut, Wasser sind seine Tränen,
sein Schweiß und Urin. Im Wasser des Meeres verdient er seinen Lebensunterhalt und
nur dort findet er spirituelle Anbindung.
    Seine Mutter
kennt Oleander nur mit einer diffusen Angst vor dem Meer und seinen Wassermassen.
Jahrzehnte ihres Lebens lauerte es heimtückisch um ihren Besitz herum. Heute ist
es zwei Deiche entfernt, anders als in ihrer Jugend, wo der Vordeich noch der Seedeich
war. Damals streckte das Meer immer wieder bedrohlich seine Zungen über die Deichkrone,
und bei der Orkanflut 1962 wurde ihre überzogene Angst blanke Realität, als das
Meer die seeseitige Deichberme schwer beschädigte, schließlich den Deich durchbrach
und den gesamte Koog mit seinen Höfen hoch überflutete. Seine Mutter konnte ihre
Pferde in letzter Sekunde noch in Sicherheit bringen. In dieser ländlichen Atmosphäre,
im rauen Norden der Halbinsel Eiderstedt, ist Oleander aufgewachsen.
    Dem Vater
dagegen scheint das Meer ein Neutrum zu sein. Paradoxerweise lässt ihn das Meer
völlig gleichgültig, obwohl er Marineoffizier ist und mit Kriegsschiffen auf seiner
Oberfläche bis auf die andere Seite der Welt fährt, um für Deutschland am Horn von
Afrika den internationalen Terror zu bekämpfen. Dabei verbringt er mehr Zeit auf
dem Meer als zu Hause, aber Oleander hat aus seinem Mund noch nie gehört, dass ihm
das Meer etwas bedeuten würde.
    Bis in seine
Jugendzeit war Oleander meist mit seiner Mutter allein, die eine aufwendige Pferdezucht
auf dem Leutnantshof betreibt, wie das Gebäude im Volksmund bis heute im Dorf genannt
wird. Das reetgedeckte Bauernhaus am Rande von Uelvesbüll ist ein Geschenk des Großvaters
zur Hochzeit gewesen. Seine Mutter ließ noch einen großen Peerboos anbauen und nannte
den Besitz von dem Zeitpunkt ab nur noch Oleanderhof.
    Oleanders
erste große Enttäuschung war der Moment, als er erfuhr, dass nicht er der Namensgeber
für ihr Anwesen war, sondern der Hof schon vor seiner Geburt diesen Namen bekommen
hatte. Oleander war ein legendäres Rennpferd, hatte seine Mutter ihm ohne das leiseste
Anzeichen von Reue erklärt. Sie hatte den Namen ausgewählt, weil dieser Ausnahmehengst
im selben Jahr wie der Großvater geboren worden war. Das Vollblut, schwärmte sie
ihm weiter vor, stammte aus dem bekannten Gestüt Schlenderhan. Freiherr Eduard v.
Oppenheim hatte es 1869 gegründet. Der Hengst bestritt 23 Rennen und siegte 19 Mal,
teilweise mit erdrückender Überlegenheit, und brachte dem Besitzer trotz Inflation,
Krieg und Währungsumstellung über 500.000 Mark ein.
    Als wenn
ihn der ätzende Mist interessiert hätte! Es war völlig beknackt, seine Mutter hatte
es wirklich gewagt, ihn nach einem abgefuckten Gaul zu benennen. Wenn er heute darüber
nachdenkt, spürt er immer noch Wut
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