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HahnBlues | Ein Rhein-Mosel-Krimi

HahnBlues | Ein Rhein-Mosel-Krimi

Titel: HahnBlues | Ein Rhein-Mosel-Krimi
Autoren: Andreas Schmidt
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EINS
    Er liebte die stillen Abendstunden an seinem Fluss. Wenn die Hektik des Tages von ihm abfiel und er endlich wieder durchatmen konnte. An lauen Sommerabenden gab es für ihn nichts Schöneres, als mit dem Boot hinauszufahren und den atemberaubenden Anblick der sanft ansteigenden Weinberge und der grünen Hügel im Hintergrund zu genießen. Die bunten und windschiefen Fachwerkhäuser schmiegten sich an die Hügel der Hunsrück-Ausläufer und erschienen dem Betrachter wie Teil einer liebevoll gestalteten Modellbaulandschaft. Als hätte sich ein begnadeter Künstler mit seinen Farbtupfen in der Landschaft verewigt, so wirkten die Blüten der Geranien in den Blumenkästen der Häuser am Ufer.
    Wilfried Gerber ruderte bis zur Mitte des Flusses, dann legte er die beiden Ruder ins Boot und streckte die Beine von sich. Er ließ den Blick über das atemberaubende Moselpanorama schweifen. Aus der Ferne vernahm er das Singen von Lkw-Reifen. Als er den Kopf nach links wandte, sah er einen Sattelzug, der in Richtung Trier unterwegs war und eine Kette von Pkws hinter sich herzog.
    Der Kleinkrieg auf der Bundesstraße am Moselufer interessierte ihn nicht im Geringsten. Die seichten Wellen der Mosel plätscherten gegen den hölzernen Rumpf seines Bootes, über seinem Kopf zog ein Greifvogel kreischend seine Bahnen. Wilfried Gerber schloss die Augen und atmete tief durch. Der laue Wind duftete nach Wein und Früchten. Diesen Duft gab es nur hier, in seiner Heimat. Hier lagen seine Wurzeln, hier fühlte er sich geborgen. Als Ortsbürgermeister des kleinen Moseldorfes Enkirch kümmerte er sich neben seinem Beruf noch um die Belange des Dorfes. Wilfried Gerber war an der Mosel aufgewachsen, und er würde sicherlich auch hier sterben.
    Ein Geräusch ließ ihn auffahren. Wilfried Gerber öffnete die Augen und suchte das Moselufer ab. Er befand sich in der Mitte des Flusses, kurz vor Pünderich. Linker Hand erhob sich die Steillage der Pündericher Marienburg; majestätisch thronte das Gemäuer auf dem Bergrücken. Rechts erblickte Gerber bereits die kleine Imbissecke an der Einfahrt des Campingplatzes. An den Tischen herrschte kein Betrieb, was ihn verwunderte. Normalerweise traf man sich hier abends zu einem kühlen Bier, doch heute war der Imbiss verwaist. Der Fährmann hatte pünktlich um 17 Uhr den Fahrdienst eingestellt; wer jetzt noch an das andere Moselufer gelangen wollte, musste bis Zell fahren, um die Brücke zu nehmen. An dieser Stelle war die Mosel rund vierzig Meter breit, und er befand sich noch immer fast genau in der Mitte des Flusses. Ein Auto parkte mit laufendem Motor und geöffneten Türen beim Anleger, doch von einem Boot, das hier zu Wasser gelassen werden sollte, fehlte jede Spur. Der Fahrer des Autos lehnte lässig zwischen Dach und Türe und blickte durch die gespiegelten Gläser seiner Sonnenbrille genau in Gerbers Richtung.
    Am Ufer waren zwei Schwäne auf der Suche nach Nahrung. Sie ließen sich weder von dem Mann am Auto noch von Gerber aus der Ruhe bringen. Nachdem die großen Vögel beides neugierig betrachtet hatten, setzten sie ihre Futtersuche am Ufer fort. Heute gab es keine Touristen, die sie mit trockenem Brot fütterten. Gerber glaubte in der Stille sogar das leise Schnattern der Schwäne zu hören.
    Gerber spürte, dass hier etwas nicht stimmte. Sein Puls beschleunigte sich, als er den zweiten Mann, anscheinend den Beifahrer des dunklen Kombis, erblickte. Er stand neben einem Busch am Ufer, dessen Zweige bis ins Wasser reichten. Von den Fachwerkhäusern in seinem Rücken und von der Promenade aus war der Mann nicht zu sehen – er hatte seine Position mit Bedacht gewählt, so viel stand für Gerber fest. Der Fremde führte nichts Gutes im Schilde. Er blickte in Gerbers Richtung, verharrte nahezu regungslos an der Stelle. Jetzt hob er den rechten Arm. In seiner Hand blitzte im Licht der tief stehenden Sonne ein metallischer Gegenstand auf, den Gerbers geschulter Blick sofort als Waffe erkannte.
    Die Absicht der Männer am Moselufer stand zweifellos fest: Gerber sollte sterben.
    Der Mann setzte an, blickte über die Zielvorrichtung aufs Wasser, genau in Gerbers Richtung.
    Gerber schien es, als wäre die Welt unter einer Schallschutzglocke verschwunden. Tödliche Stille umgab ihn, die nur vom Glucksen des Wassers, das gegen den Rumpf schwappte, unterbrochen wurde.
    Der Hahn der Waffe klickte überlaut.
    Gerber spürte, wie ihm siedend heiß wurde. Panisch blickte er sich um. Auf dem Wasser war er
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