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Harry Bosch 09 - Letzte Warnung

Harry Bosch 09 - Letzte Warnung

Titel: Harry Bosch 09 - Letzte Warnung
Autoren: Michael Connelly
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den ersten 24 Stunden hatten wir uns darauf konzentriert, Beweismaterial zu sammeln, Angehörige zu benachrichtigen und erste Vernehmungen derjenigen Personen durchzuführen, bei denen eine direkte Verbindung zum Tatort bestand. In den zweiten 24 Stunden begannen wir mit dem Sichten des gesammelten Materials und machten uns daran, uns mit den Anomalien zu beschäftigen und zu versuchen, sie wie Walnüsse aufzuknacken. Bis zum Ende des zweiten Tages waren wir zu dem Schluss gelangt, dass es sich um einen so genannten inszenierten Tatort handelte. Das heißt, um einen Tatort, der vom Täter bewusst so gewählt und gestaltet worden war, dass er die Ermittler bezüglich des Charakters der Tat zu falschen Schlüssen verleitete. Wir kamen zu der Überzeugung, dass wir es mit einem Mörder zu tun hatten, der sich für klüger hielt als uns und uns auf die Fährte ›Sexualmord eines Psychopathen‹ locken wollte, obwohl es bei der Tat um etwas völlig anderes ging.
    Das Element, das uns in diese Richtung wies, war das auf der Leiche gefundene Sperma. Beim Betrachten der Fotos vom Tatort fiel mir auf, dass die Linie, in der die Spermatropfen über den Brustkorb des Opfers verteilt waren, auf eine Flugbahn hindeutete. Allerdings waren die einzelnen Tropfen rund. Was den Beweischarakter von Blutspritzern angeht, weiß jeder Ermittlungsbeamte, dass runde Tropfen entstehen, wenn Blut senkrecht auf eine Oberfläche tropft. Ellipsenförmige Tropfen bilden sich, wenn Blut in einer schrägen Flugbahn auf eine Oberfläche spritzt. Wir erkundigten uns bei unserem Experten für Blutspritzer, ob die Normen für Blutspuren auch für andere Körperflüssigkeiten galten. Die Bestätigung, dass das zutraf, knackte eine Anomalie für uns auf. Wir stellten daraufhin die Theorie auf, dass der oder die Täter das Sperma mit hoher Wahrscheinlichkeit absichtlich auf der Leiche angebracht hatten. Möglicherweise war es sogar an den Tatort gebracht und dann zur gezielten Irreführung auf die Leiche getröpfelt worden.
    Unsere Ermittlungen begannen in eine neue Richtung zu zielen. Wir betrachteten den Mord nicht mehr als eine Tat, bei der das Opfer rein zufällig in das Jagdrevier eines Raubtiers geraten war. Angella Benton war das Jagdrevier. Es war irgendetwas an ihren Lebensumständen gewesen, das den Mörder angelockt hatte.
    Wir nahmen ihr Privat- und Berufsleben unter die Lupe, suchten nach diesem verborgenen Element, das den Plan, sie umzubringen, ins Leben gerufen hatte. Irgendjemand hatte ihren Tod gewollt und sich für raffiniert genug gehalten, den Mord als die Tat eines Psychopathen tarnen zu können. Während wir nach außen hin die Medienmaschinerie mit der Lustmördertheorie fütterten, begannen wir insgeheim anderswo zu suchen.
    Am dritten Tag unserer Ermittlungen übernahm Edgar die Obduktion und den stetig anwachsenden Schreibkram, während Rider und ich Außendienst machten. Wir verbrachten zwölf Stunden in den Büros von Eidolon Productions auf dem Gelände von Archway Pictures in der Melrose Avenue. Alexander Taylors Filmherstellungsmaschine nahm fast ein Drittel der Büroflächen auf dem Archway-Gelände ein. Es gab über fünfzig Angestellte. Aufgrund ihres Jobs als Produktionsassistentin hatte Angella Benton mit allen von ihnen zu tun gehabt. Die PAs bilden die Basis der hierarchischen Hollywood-Pyramide. Benton war das Mädchen für alles gewesen, der Laufbursche. Sie hatte kein eigenes Büro gehabt, nur einen Schreibtisch in der fensterlosen Poststelle. Aber das machte nichts, weil sie immer auf Achse war, unterwegs zwischen den Büros auf dem Archway-Gelände und den Produktionen draußen. Zum damaligen Zeitpunkt hatte Eidolon an verschiedenen Locations in und um Los Angeles zwei Kinofilme und einen Fernsehfilm gedreht. Jede dieser Produktionen war, für sich genommen, eine eigene kleine Stadt, eine Zeltstadt, die fast jeden Abend abgebrochen wurde und von einer Location zur nächsten weiterzog. Eine Stadt mit weiteren hundert und mehr Personen, die mit Angella Benton zu tun gehabt haben könnten und vernommen werden mussten.
    Was uns an Arbeit bevorstand, war entmutigend. Wir baten um Hilfe – zusätzliche Leute, die bei den Vernehmungen hätten helfen können. Der Lieutenant konnte niemanden erübrigen. Rider und ich brauchten schon für die Vernehmungen in der Firmenzentrale auf dem Archway-Gelände einen ganzen Tag. Und das war das einzige Mal, bei dem ich mit Alexander Taylor sprach. Rider und ich bekamen eine
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