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Handbuch für anständige Mädchen

Handbuch für anständige Mädchen

Titel: Handbuch für anständige Mädchen
Autoren: Elaine Di Rollo
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Kleider angehabt. Wir sind nicht zu verkennen gewesen.«
    »Wir sind nicht inkognito dort gewesen«, sagte Tante Statham.
    »Hast du uns gesehen?«, wiederholte Tante Rushton-Bell eindringlich. »Ich habe die fotografische Platte unter meinen Röcken getragen.«
    »Ich habe euch gesehen.«
    »Sind wir nicht großartig gewesen?«
    »Ganz ohne Zweifel.« Lilian lächelte.
    »Aber deine Haare!«, jammerte Tante Pendleton. »Warum hast du nur so etwas getan?«
    »Oh, ich fand die langen Haare höchst unpraktisch. Besonders in Indien. Es ist die ganze Zeit über so heiß und schmutzig gewesen. Es war viel leichter, sie einfach alle abzuschneiden. Ein Barbier auf dem Basar von Kalkutta hat es erledigt. Seitdem trage ich sie kurz.«
    »Oh, meine liebe Lilian!«, rief Mrs Talbot die Ältere. »Deine Haarpracht. Hinweg!«
    »Also ich halte es für eine ausgezeichnete Idee«, sagte Tante Lambert. »Für mich war es immer die schlimmste Tortur, mir in Indien die Haare zu waschen. Man benötigte die Hilfe von ungefähr drei Frauen. Und was die Hosen anbelangt, die du trägst« – sie errötete ein wenig beim Anblick der Beine ihrer Großnichte –, »ich habe schon immer gefunden, dass Krinolinen lächerliche Kleidungsstücke sind. So unpraktisch. Man war eine Zeit lang gar versucht, einen Sari zu tragen, doch Mr Lambert hat ein Machtwort gesprochen. Ich gewährte ihm dieses Zugeständnis und ertrug folglich jahrelang die unbequemste Kleidung, die ihr euch nur vorstellen könnt. Mittlerweile bin ich so sehr an eisenverkleidete Miederwaren gewöhnt, dass ich wohl ohne die Hilfe von Fischbein und Biesen kaum aufrecht stehen könnte. Wie dem auch sei, mein Liebes, genug davon. Ich nehme an, dass du zurückkehren wirst?«
    »Nach Indien? Ganz gewiss. Und Alice wird mit mir kommen.«
    »Alice!«, rief Tante Pendleton, und ihre Hände flogen an ihren Mund. »Ich vergaß!«
    »Weißt du, wo sie ist?«, sagte Mrs Talbot die Ältere händeringend.
    »Ja. Und ich habe mich um Dr. Cattermole gekümmert. Jedenfalls hoffe ich es.«
    »Sie sind alle draußen«, sagte Tante Pendleton, »und sehen sich diesen höllischen Vulkan an.« Die Tanten blickten nach oben, durch die dunklen Pranken des Blätterwerks, die teilweise Ausblick auf das dahinterliegende Glas gewährten. Hier und dort flackerte und leuchtete der Nachthimmel vor Funken, als werde er von einem riesenhaften Freudenfeuer erhellt. »Jetzt bietet sich uns die Chance, Alice zu befreien.«
    Lilian erhob sich. » Ich werde Alice retten«, sagte sie be stimmt. »Und wir werden beide diesen Ort für immer verlassen. Meine lieben Tanten, vielleicht werde ich euch nie wiedersehen.«
    »Dummes Zeug!«, sagte Tante Lambert energisch und drückte Lilians ausgestreckte Hand. »Mrs Rushton-Bell? Zeig es ihr bitte.«
    Aus einer geheimen Ritze ihres gepanzerten Mieders holte Tante Rushton-Bell etwas hervor, das auf den ersten Blick wie eine Visitenkarte aussah. Sie reichte sie weiter. »St. Peter’s Mount Hotel, Bournemouth«, las Lilian. »Heim für Damen im Ruhestand.«
    »Wir ziehen alle dorthin«, sagte Tante Statham. »Der Besitzer hat mir erzählt, dass Lord Byron einmal dort übernachtet hat.«
    »Ich kann mir nicht vorstellen, was Lord Byron in einem Hotel für Damen im Ruhestand zu suchen gehabt haben soll«, entgegnete Tante Lambert. »Bist du dir sicher, dass du ihn richtig verstanden hast, Liebes?«
    »Vielleicht ist es schon länger her«, sagte Tante Statham eingeschnappt. »Früher ist es einmal eine vornehme Adresse gewesen, wisst ihr? Ich habe dort als junges Mädchen in den Armen von Lord Aldershot getanzt. Wellington persönlich hat mir die Hand geküsst. Es bereitet mir große Freude, zum letzten Walzer dorthin zurückzukehren.«
    »Wir haben es nun schon eine ganze Weile vor.« Tante Lambert wandte sich an Lilian. »Wir können nicht mehr länger hierbleiben, sonst bringt uns der Ort noch um. Morgens gibt es kein heißes Wasser und niemanden, der es bringen könnte, selbst wenn es welches gäbe. Die meisten Dienstmädchen sind fort – Talbot hat seit Monaten keines mehr bezahlt.«
    »Das Essen ist stets kalt.«
    »Und Edwin ist ein absurder Tischgenosse«, sagte Tante Statham. »Jagt Mäuse die Vorhänge hinauf und hinunter.«
    »Ich habe gesehen, wie DaVinci Maus Nummer sechzehn aufgefressen hat«, flüsterte Mrs Talbot die Ältere. »Ich habe nicht gewagt, etwas zu sagen.«
    »Und in diesem Treibhaus herrscht eine Zugluft, die es früher nicht gegeben hat«, sagte Tante
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