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Handbuch für anständige Mädchen

Handbuch für anständige Mädchen

Titel: Handbuch für anständige Mädchen
Autoren: Elaine Di Rollo
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auf das Bett sinken. »Ich hätte es wissen müssen.« Die Vogelschar schien ihn anzustarren, schweigende, anklagende Geschworene, deren Knopfaugen im Lampenlicht vorwurfsvoll wütend glitzerten. Mr Blake betrachtete die Ätherflasche, die auf dem Waschtisch stand.
    »Unsinn«, sagte Alice. »Es muss einen Ausweg geben. Wir müssen ihn nur finden.« Sie folgte Mr Blakes gierigem Blick auf die Ätherflasche. »Ich dachte, dem Zeug hätten Sie abgeschworen«, murmelte sie und rüttelte erneut an der Klinke.
    »Das habe ich auch«, murmelte er. »Ich habe nur …« Er hielt inne. »Ich habe nur überlegt«, sagte er langsam. »Cattermole hat diesen Äther jetzt schon seit Monaten. Er stammt aus dem vergangenen Jahr. Er wird schon ein wenig oxidiert sein – er wird instabil geworden sein.« Mr Blake zuckte mit den Schultern. »Es ist ein gefährlicher Plan, aber nicht undurchführbar.«
    »Was?«, sagte Alice. »Was für ein Plan?« Mit einem Mal lächelte sie ihn an. »Eine Explosion?«
    Mr Blake erwiderte ihr Lächeln. »Ganz genau.«
    »Können wir sie ausreichend eindämmen?«
    »In Cattermoles Tasche befindet sich Verbandszeug. Wir könnten einen Verband tränken und so viel wie möglich davon in das Schlüsselloch stopfen. Was wir nicht in das Schlüsselloch bekommen, können wir unter der Klinke zu einem Bündel verknoten.«
    »Und wie würden wir das Ganze entzünden, ohne uns selbst dabei in die Luft zu sprengen?«
    »Kommen Sie schon«, sagte Mr Blake. »Fällt Ihnen denn nichts ein? Soll ich die ganze Arbeit leisten?«
    Alice sah sich um. Jedes Zimmer im Haus ihres Vaters steckte voller unerwarteter Gegenstände. In dieser mit Vögeln angefüllten Dachkammer musste es etwas geben, das sie hernehmen könnten. Da fiel ihr Blick auf etwas, das in der Zimmerecke stand. Sie ging davon aus, dass es irrtümlich mit den Vögeln hochgetragen worden war, als sie ihr altes Zuhause im Billardzimmer verlassen hatten. Sie wies Mr Blake darauf hin. »Das sollte seinen Zweck erfüllen«, sagte sie. »Ein Billardqueue. Wir können eine Feder am Ende befestigen und sie an ein Stück heiße Kohle halten, bis sie brennt. Wir werden den längsten Anzünder haben, den man sich vorstellen kann. Was brauchen wir mehr?«

 
     
     
    Lilian blickte durch das Blätterdach nach oben. Ihr Herz klopfte im Takt des sanften Platsch, Platsch, Platsch des Wassers, das von einem Blatt zum nächsten tropfte, und sie zwang sich, sich in der feuchten und atemlosen Hitze zu entspannen. Das Grün war üppig – gewaltige, glänzende Blätter, fleischige Stängel und kräftige, muskulöse Stämme –, alles viel stärker und vitaler, als sie es in Erinnerung hatte. Der Boden war kaum zu erkennen durch das Gewebe an Wurzeln, die kreuz und quer über den Grund verliefen, und einen zottigen, smaragdgrünen Moosteppich, der wuchs, wo immer der Schatten am tiefsten war.
    Auf dem Tisch standen der Stößel und Mörser, die Tante Statham früher benutzt hatte, um Farbpigmente zu zermahlen. Daneben ein Messer, eine Schüssel mit aufgeschnittenen Pfirsichen und ein Haufen enthülster Pfirsichkerne.
    Der Pfirsichbaum, der in seinem gewaltigen Bottich aus dem Wintergarten hergeschoben worden war, gedieh prächtig – wie alles in der sengenden Hitze des Treibhauses. Seine Äste bogen sich schmerzhaft unter der Last seiner samtenen Früchte. Lilian hatte ein Dutzend gepflückt, hatte ihr Messer in die weiche Falte sanftroter, flaumiger Haut gleiten lassen und durch das süß duftende Fleisch geschnitten. Die Säfte waren wie Nektar über ihre Finger geströmt, als sie jeweils die harten, faltigen Kerne und das bittere Mandelgift aus der Mitte entfernte.
    Zuerst hatte es den Anschein gehabt, als habe Tante Statham, seitdem sie, Lilian, das Große Haus verlassen hatte, die Malerei vollständig aufgegeben. Die Papier- und Leinwandrollen, die sich einst wie Holzscheite hier und dort gestapelt hatten, waren fort, die Staffelei wurde nun von Tante Pendleton als Tafel benutzt, um gewonnene Whist-Partien zu notieren, die Gläser voll Wasser und Terpentin, die früher auf der Tischplatte verteilt herumgestanden hatten wie hundert geöffnete Einmachgläser, waren alle weggeräumt worden. Erst nach einer ganzen Weile, die Lilian eigentlich nicht erübrigen konnte, hatte sie gefunden, wonach sie gesucht hatte: Der Mörser war voll Milch und stand auf dem Boden neben Tante Stathams Sessel, der Stößel diente auf dem bambusumgebenen Schreibpult ihrer Schwester als
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