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Handbuch für anständige Mädchen

Handbuch für anständige Mädchen

Titel: Handbuch für anständige Mädchen
Autoren: Elaine Di Rollo
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Briefbeschwerer. Sie hatte diese beiden Gegenstände gerettet und sich an die Arbeit gemacht, hatte Pfirsichkerne zu einer Paste zermahlen und sie mit Zucker gemischt, bevor sie sie in die Küche brachte.
    Nun, da Lilian in Tante Lamberts moderigem Lehnstuhl saß, hoffte sie, dass Dr. Cattermoles Schwäche für Bakewell Tart immer noch so groß war wie eh und je. Schließlich hörte sie gedämpftes Stimmengemurmel und Blättergeraschel. Die Tanten kehrten zurück.
    »Tja«, sagte Tante Pendleton gerade, »ich habe in meinem ganzen Leben bestimmt noch nie etwas derart Empörendes zu Gesicht bekommen. Es ist eine Erleichterung, dass die Frau in London geblieben ist. Stellt euch nur vor, ich hätte ihr am Esstisch gegenübergesessen!«
    »Ihr habt Edwin gesehen«, sagte Tante Lambert. »Er hat versucht, Mr Blake die Schuld zu geben. Bloß um Cattermole zu verteidigen.«
    »Können wir sicher sein, dass Mr Blake über jeglichen Verdacht erhaben ist?«, fragte sich Tante Rushton-Bell. »Vorsicht, meine Damen, bitte. Die Wurzeln haben Wülste über dem Pfad gebildet. Die Räder meines Rollstuhls verfangen sich und zwingen mich einen Weg entlang, den ich nicht einschlagen möchte. Letzte Woche hat mich Mrs Talbot die Ältere beinahe in den Zierteich geschoben.«
    Ächzen erklang sowie Geraschel im Gestrüpp. »Ich bin mir nicht sicher, ob wir Mr Blake vollständig ausschließen können«, keuchte Tante Lambert. »Aber inwiefern er vielleicht auch mitgewirkt haben mag, ich vermute, dass er dazu genötigt und verführt wurde, und nichts Unheilvolleres. Ich möchte sehr bezweifeln, dass er die Energie oder Neigung besitzt, derartige Machenschaften anzuzetteln. Nein. Die ganze Sache ist auf Cattermole zurückzuführen, dessen könnt ihr euch sicher sein.«
    »Aber was können wir tun?«, jammerte Mrs Talbot die Ältere. »Er hat Alice. Wir wissen noch nicht einmal, wohin er sie gebracht hat.«
    Lilian sah, wie die Blätter am Rand der Lichtung zuckten und hin- und herschlugen. Die Spitze eines Stocks kam in Schulterhöhe zum Vorschein, und ein Streifen Louisianamoos wurde beiseitegehoben, wie ein zerschossener Vorhang, der sich in einem Theater hob. Die Tanten traten aus dem Dschungel auf die schummerige Lichtung.
    »Vielleicht sollten wir jedes Zimmer im Haus durchsuchen, bis wir sie finden«, sagte Tante Statham gerade. »Wir können hier nicht einfach herumsitzen und nichts tun.«
    »Mach dir keine Sorgen, Tante Statham«, sagte Lilian von ihrem Sitzplatz unter dem Pfirsichbaum. »Ich habe alles unter Kontrolle.«
    Vier tränende Augenpaare richteten sich auf die Besucherin, die im Schatten neben dem riesenhaften Räderbottich des Pfirsichbaumes saß. Erst herrschte kurzes Schweigen, dann stürzten sich die Tanten wie eine Schar exotischer Hühner auf sie, ihre klauenhaften Hände griffen nach ihren Armen, ihre Schnabelgesichter und flechtenbedeckten Hälse zuckten steif über ihrem Gefieder aus Spitze und changierender Seide hin und her. Man verlieh unterschiedlichen Gefühlen von Schmerz und Freude, Entzücken bis Sorge Ausdruck, und die betagten Stimmen zitterten vor Gefühlsregung, sodass sie Lilian an die Geräusche verängstigten Geflügels erinnerten.
    »Dr. Cattermole ist hier!«, rief Tante Pendleton mit weit aufgerissenen Augen.
    »Ich weiß«, sagte Lilian. »Ich habe ihn gesehen. Ich hatte gehofft, dass er hier wäre.«
    »Du musst Alice retten«, krächzte Tante Statham.
    »Alles ist unter Kontrolle«, wiederholte Lilian.
    »Aber …«
    »Meine Damen!«, rief Tante Lambert. Sie hielt eine Hand hoch. »Erklärungen können warten. Lilian hat gesagt, dass alles unter Kontrolle ist. Wir dürfen nur fragen, was wir tun können, um zu helfen.« Sie blinzelte Lilian an. »Wir haben es bereits versucht, aber dein Vater ist … tja, er ist zu angetan von Dr. Cattermole, um ihn als das zu sehen, was er ist.«
    »In der Tat«, sagte Lilian nachsichtig.
    »Warum bist du wie ein Mann angezogen?«, fragte Tante Pendleton unvermittelt. »Und deine wunderschönen Haare!«
    »Ich bin beim Treffen der Gesellschaft zur Verbreitung Nützlichen und Interessanten Wissens gewesen«, sagte Lilian. »Unten im Ballsaal. Es hat mich interessiert, mir anzuhören, was Dr. Cattermole zu sagen hatte. Ich musste mich dem Anlass gemäß kleiden. Ihr wisst ja, dass Frauen keinen Zutritt haben.«
    »Ganz recht«, murmelte Tante Lambert.
    »Hast du uns gesehen?«, rief Tante Rushton-Bell. »Wir sind auch dort gewesen. Wir haben unsere eigenen
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