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Handbuch für anständige Mädchen

Handbuch für anständige Mädchen

Titel: Handbuch für anständige Mädchen
Autoren: Elaine Di Rollo
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Stimme. »Ich werde nicht vergessen.« Doch er wusste, dass dem so wäre. Letztlich vergaß jeder. »Zumindest können Sie mir gestatten, eine Fotografie zu machen. Als Erinnerung an Sie.«
    »Sie müssen sich nicht an mich erinnern. Ich möchte nicht, dass man sich an mich erinnert. Und ganz gewiss nicht so.«
    »Wir sollten gehen«, sagte Lilian.
    »Wie soll ich mich dann an Sie erinnern?«, fragte Mr Blake nach. Er starrte Lilian erbost an.
    »Ich weiß es nicht«, sagte Alice. Sie betrachtete ihre Schwester und bewunderte deren kurze Haare und ihre schönen, uneingeschränkt bewegungsfähigen Beine.
    »Komm schon«, drängte Lilian und zog an der Hand ihrer Schwester.
    Alice zögerte. Sie blickte an ihren Röcken hinab. Sie blähten sich wie die vollen Segel einer Galeone um ihre Beine. »Es besteht wohl kein Grund, warum Sie mich nicht fotografieren sollten«, sagte sie zu Mr Blake. »Es ist das Mindeste, was ich für Sie tun kann.«
     
    Alice, Lilian und Mr Blake stiegen durch die Falltür auf das Dach.
    »Kommst du immer noch hier herauf?«, fragte Lilian und drückte die Hand ihrer Schwester.
    Alice nickte. »Natürlich.«
    »Ich bin auch hier oben gewesen«, sagte Mr Blake. »Viele Male. Mit Alice.«
    Der rot-gelbe Kimono bauschte sich um seine Schultern, als der Wind an dem Seidenstoff zerrte und zupfte. Glücklicherweise war das Wetter endlich wärmer geworden, und ihm war nicht kalt, obwohl er Alice seine wollene Unterwäsche, sein Hemd, seine Weste und seine Breeches gegeben hatte. Wie überzeugend die Talbot-Schwestern waren, wenn sie zusammenarbeiteten, dachte er mürrisch. Zweifellos konnte er von Glück sagen, dass der Schaukasten mit dem japanischen Kimono ganz in der Nähe gewesen war, ansonsten hätte es gut sein können, dass er jetzt in Alices Röcken und Unterwäsche dastünde. Trotzdem musste er sich eingestehen, dass die Kleidung Alice wie angegossen passte und sie außerdem sehr gut darin aussah. Nachdem nun das ganze weibliche Drum und Dran entfernt war – ihr Korsett, ihr Kleid und ihre Unterröcke, ja, wenn sie sich erst einmal die Haare abgeschnitten hatte, würde niemand mehr den Unterschied erkennen können. Die Bilder, die er gemacht hatte, waren gut geworden. Vielleicht würde Mr Talbot eines haben wollen, als Zugabe zu seiner mittlerweile umfangreichen Sammlung von Fotografien.
    »Ich halte das für keine sehr gute Idee«, rief Mr Blake, während er sich damit abmühte, die Schärpe des Kimonos um seine Taille zu binden.
    »Es ist eine vollkommen ausgezeichnete Idee!«, rief Alice.
    Mr Blake warf ihr einen schmollenden Blick zu. »Wie Sie wünschen«, murmelte er. Er drängte sich an ihr vorbei und ging durch den Wind und die Schornsteine voraus über das Dach.
    An der Flugmaschine waren ein paar Änderungen vorgenommen worden, seit Alice das letzte Mal darin gesessen hatte. Die Maschine war länger und schnittiger. Die Leinwandseiten waren repariert worden, und man hatte einen zweiten Sitz eingebaut.
    »Steig ein«, rief sie Lilian ins Ohr.
    Lilian starrte das Gebilde an. Sie deutete auf das Loch im Rumpf zwischen den Flügeln. »Da hinein?«
    »Ja, da hinein«, sagte Alice. »Hab keine Angst.«
    »Habe ich nicht«, sagte Lilian. Sie ließ sich in die Flugmaschine gleiten wie ein Insekt, das sich in seine Puppe zurückzwängte. Hinter ihr befestigten Alice und Mr Blake das gewaltige Gummiband, das benötigt wurde, um die Maschine in die Luft zu schleudern.
    »Dann steigen Sie eben auch ein, Miss Talbot«, rief Mr Blake in den Wind, »wenn es das ist, was Sie tun wollen. Es heißt, den Mutigen gehöre die Welt.« Er schenkte ihr ein widerwilliges Lächeln.
    Alice umarmte ihn fest. »Danke, mein lieber Mr Blake.« Er spürte ihre Lippen an den seinen, ihre Haare kitzelten ihn im Gesicht, dann erklomm sie die Leiter und zwängte sich in den Vordersitz. Mr Blake beobachtete, wie sich Alice Mr Bellows’ Kochtopf über den Kopf zog und mit einem Schal festband. Sie hielt den Daumen hoch. Mr Blake nickte und kurbelte an der Maschinerie, die die Flugmaschine in die Luft katapultieren würde.
     
    Alice spürte, wie sich die Maschine zentimeterweise rückwärts über das Dach bewegte. Es schien eine Ewigkeit zu dauern, die Maschine schien sich kaum zu bewegen – wirklich, dachte sie, konnte Mr Blake nicht schneller arbeiten? Endlich hörte es auf. Sie blickte nach hinten in Lilians lachendes Gesicht und lächelte. Sie suchte nach Mr Blake, um ihm ihren Dank zuzurufen, doch er wurde vom
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