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Halo

Halo

Titel: Halo
Autoren: Alexandra Adornetto
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Seele?»
    Er zuckte die Schultern. «Na ja, ich hänge mit Leuten ab, die seit der Erschaffung der Erde existieren. Man sollte doch meinen, dass sich mein Blickwinkel ändert, wenn meine bessere Hälfte ein Engel ist.»
    «Du würdest mich also als deine bessere Hälfte bezeichnen?», fragte ich verträumt und fuhr mit dem Finger am Lederband entlang, das um seinen Hals hing.
    «Natürlich», sagte er. «Wenn ich nicht mit dir zusammen bin, habe ich das Gefühl, als trüge ich eine Brille, hinter der die ganze Welt grau aussieht.»
    «Und wenn du mit mir zusammen bist?», fragte ich leise.
    «Dann ist alles in Technicolor.»
    Xaviers Prüfungen standen kurz bevor, und doch kam er jeden Tag. Er war immer aufmerksam, sah mich auf der Suche nach Zeichen der Genesung lange an und brachte kleine Geschenke mit: eine nette Geschichte, zum Beispiel, oder selbstgebackene Kekse. Falls es in unserer Vergangenheit je Momente gegeben hatte, in denen ich an seiner Liebe gezweifelt hatte, so waren sie jetzt endgültig verschwunden.
    «Wollen wir heute mal einen Spaziergang versuchen?», fragte er. «Am Strand? Du kannst Phantom mitnehmen, wenn du willst.»
    Einen Moment lang war ich versucht, doch dann überwältigte mich der Gedanke an die Welt da draußen, und ich zog mir die Decke bis unter das Kinn hoch.
    «Alles in Ordnung», sagte Xavier beruhigend. «Vielleicht ja morgen. Wie wäre es, wenn wir heute Abend etwas zusammen kochen?»
    Ich nickte, kuschelte mich dichter an ihn heran und sah hinauf in sein perfektes Gesicht mit seinem belustigten schiefen Lächeln und seiner hellbraunen Locke, die ihm in die Stirn fiel. All das war mir so wunderbar vertraut.
    «Du hast die Geduld eines Heiligen», sagte ich. «Ich glaube, wir sollten uns dafür einsetzen, dich heiligzusprechen.»
    Er lachte und nahm meine Hand, weil er sich freute, dass mein ehemaliges Selbst für einen Moment durchgeblitzt war. Ich folgte ihm im Pyjama nach unten und hörte zu, was er mir über seine Kochideen erzählte. Seine Stimme war so beruhigend wie kühler Balsam, der meinen besorgten Geist besänftigte. Ich wusste, er würde bei mir bleiben und mit mir reden, bis ich eingeschlafen war. Jedes Wort, das er sprach, zog mich sanft wieder zurück ins Leben.
    Doch selbst Xaviers Anwesenheit konnte mich nicht vor den Albträumen beschützen. Jede Nacht hatte ich denselben Traum und wachte schweißgebadet auf. Ich wusste sofort, dass ich geträumt hatte, selbst während ich noch träumte.
    Im Traum war ich wieder im Himmel und hatte die Erde für immer hinter mir gelassen. Die tiefe Traurigkeit, die ich spürte, war so real, dass ich beim Aufwachen das Gefühl hatte, eine Kugel stecke in meiner Brust. Der Glanz des Himmels ließ mich kalt, und ich bat Unseren Vater um mehr Zeit auf der Erde. Ich bat und bat und weinte bittere Tränen, doch meine Bitten trafen auf taube Ohren. Verzweifelt musste ich mit ansehen, wie sich die Tore hinter mir schlossen, und ich wusste, dass es kein Entkommen gab. Ich hatte meine Chance gehabt und sie nicht genutzt.
    Obwohl ich zu Hause war, fühlte ich mich wie eine Fremde. Es war nicht die Rückkehr selbst, die mich so unglücklich machte; es war der Gedanke daran, was ich zurückgelassen hatte. Die Vorstellung, Xavier niemals wieder berühren, sein Gesicht niemals wieder sehen zu können, riss an mir wie Krallen. Im Traum hatte ich ihn verloren. Wenn ich versuchte, mich an ihn zu erinnern, verschwamm sein Gesicht vor meinen Augen. Was mich am meisten quälte, war, dass ich nicht einmal die Chance gehabt hatte, mich von ihm zu verabschieden.
    Die ungeheure Weite der Ewigkeit lag vor mir, und alles, was ich wollte, war Sterblichkeit. Doch ich konnte nichts tun. Ich konnte die Gesetze von Leben und Tod, von Himmel und Erde nicht verändern. Ich konnte noch nicht einmal hoffen, denn es gab nichts, worauf ich hoffen durfte. Meine Geschwister versuchten mir Trost zu spenden, aber ich war untröstlich. Ohne Xavier ergab nichts in meiner Welt einen Sinn.
    Trotz der Qualen, die mir der Traum bescherte, war es mir egal, wie oft ich von ihm heimgesucht wurde, solange ich erwachen konnte und wusste, dass Xavier bald kommen würde. Das Aufwachen war alles, was zählte. Das Aufwachen und die Wärme der Sonne zu spüren, die durch die bodentiefen Fenster schien, Phantom, der zu meinen Füßen schlief, und die Möwen, die über der himmelblauen See kreisten. Die Zukunft konnte warten. Wir hatten eine Menge durchgemacht, er und ich, und hatten es
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