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Halo

Halo

Titel: Halo
Autoren: Alexandra Adornetto
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Aktivitäten aus ihrem Kopf und achtete darauf, keine anderen Erinnerungen zu treffen. Es war, als radiere sie einzelne Worte aus einem Buch – man musste sorgfältig vorgehen, um nichts Wichtiges auszulöschen. Als sie fertig war, erinnerten sich zwar alle an den Neuankömmling Jake Thorn, doch niemand wusste von einer Verbindung mit ihm. An die Schulbehörde erging eine Nachricht, dass Jake auf Wunsch seines Vaters von der Bryce Hamilton genommen wurde und in England eine Schule besuchen würde. Dies war für ein oder zwei Tage das Gesprächsthema, bevor sich die Schüler wieder aktuelleren Dingen widmeten.
    «Was ist eigentlich mit diesem heißen britischen Typen passiert?», fragte Molly zwei Wochen nach ihrer Rettung. Sie saß am Fußende meines Bettes und feilte sich die Nägel. «Wie hieß er noch gleich … Jack? James?»
    «Jake», sagte ich. «Und er ist wieder zurück nach England gezogen.»
    «Schade», kommentierte Molly. «Ich mochte seine Tattoos. Meinst du, ich sollte mir auch eins machen lassen? Ich dachte an ‹Leirbag›.»
    «Du willst ein Tattoo mit Gabriels Namen, nur rückwärts?»
    «Verdammt, ist das denn so offensichtlich? Dann muss ich mir was anderes ausdenken.»
    «Gabriel mag keine Tattoos», sagte ich. «Er sagt, der menschliche Körper sei keine Werbefläche.»
    «Danke, Bethie», sagte Molly. «Gut, dass du mich vor falschen Entscheidungen bewahrst.»
    Ich fand es seit neuestem schwierig, mit Molly zu reden. Etwas in mir hatte sich verändert. Ich war das einzige Mitglied meiner Familie, das sich von dem Kampf mit Jake nicht erholt hatte. Auch Wochen nach dem Feuer hatte ich das Haus noch nicht verlassen. Zuerst lag es an meinen Flügeln, die starke Brandschäden genommen hatten und Zeit zum Heilen brauchten. Danach fehlte mir einfach der Mut. Ich war zufrieden damit, einfach nur ein Geist zu sein. Nach all meinem vorherigen Wissensdurst, was menschliche Erfahrungen betraf, sehnte ich mich nun nach nichts anderem als meinem sicheren Zuhause. Ich konnte nicht an Jake denken, ohne dass mir die Tränen in die Augen stiegen. Ich versuchte es vor den anderen zu verheimlichen, aber wenn ich allein war, ließ ich jede Selbstbeherrschung fahren und weinte bitterlich – nicht nur um den Schmerz, den er verursacht hatte, sondern auch darum, was er hätte sein können, wenn er mir erlaubt hätte, ihm zu helfen. Ich hasste ihn nicht. Hass war ein sehr mächtiges Gefühl, und dafür war ich zu schwach. Jake war für mich eines der mitleidswürdigsten Wesen im Universum. Er war gekommen, um unsere Leben absichtlich zu verfinstern, doch er hatte praktisch nichts erreicht. Gleichzeitig versuchte ich, nicht daran zu denken, was hätte geschehen können, wenn Gabriel mein Gefängnis nicht gestürmt hätte. Doch der Gedanke kroch immer wieder in meinen Geist und ließ mich erneut in die Sicherheit meines Zimmers flüchten.
    Manchmal sah ich der Welt durch mein Fenster zu. Der Frühling ging in den Sommer über, und ich fühlte, wie die Tage immer länger wurden. Ich stellte fest, dass die Sonne früher aufging und länger am Himmel blieb. Ich sah ein paar Spatzen zu, die ihr Nest im Giebel des Hauses bauten. In der Ferne konnte ich die Wellen faul ans Ufer plätschern sehen.
    Xaviers täglicher Besuch war das Einzige, worauf ich mich freute. Natürlich waren Ivy und Gabriel ein großer Trost für mich, aber sie wirkten immer leicht abwesend, weil sie so eng mit unserem früheren Zuhause verbunden waren. In meinen Augen war Xavier die Verkörperung der Erde – felsenfest, stabil und sicher. Ich hatte mir Sorgen gemacht, dass seine Erlebnisse mit Jake Thorn ihn in irgendeiner Weise verändern könnten, doch seine Reaktion auf all das war, gar nicht zu reagieren. Er stürzte sich auf sein Vorhaben, sich um mich zu kümmern, und schien die übernatürliche Welt fraglos akzeptiert zu haben.
    «Vielleicht will ich keine Antworten», sagte er, als ich ihn eines Nachmittags danach fragte. «Ich habe genug gesehen, um zu glauben.»
    «Aber bist du denn gar nicht neugierig?»
    «Es ist, wie du schon mal gesagt hast.» Er setzte sich neben mich und schob mir eine Haarsträhne hinter das Ohr. «Es gibt Dinge, die den menschlichen Verstand übersteigen. Ich weiß, dass es einen Himmel und eine Hölle gibt, und ich habe gesehen, was aus beiden hervorkommen kann. Für den Moment muss ich nicht mehr wissen. Meine Fragen hätten keinen Nutzen.»
    Ich lächelte. «Seit wann bist du denn so eine weise alte
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