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Hafenweihnacht

Hafenweihnacht

Titel: Hafenweihnacht
Autoren: J.M. Soedher
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passabel, wie Schielin feststellte.
    »Es ist doch bald Weihnachten, Josef. Da musst du Weihnachtslieder spielen. Kannst du denn eines?«
    Josef blieb still.
    »Warst du heute Nacht vielleicht hier im Hafen? Hast du was gesehen? Da drüben am Mangturm, da ist nämlich was passiert.«
    Josef schüttelte den Kopf und schnappte laut nach Luft, um dann laut zu lachen.
    Schielin erinnerte sich an alte Posaunenchorzeiten mit Tenorhorn und nahm die Trompete hoch. Oje. Das Mundstück war verdammt schmal. Trotzdem spannte er die Lippen und versuchte einen Ton herauszubringen. Vorsichtig, leise. Es klang zunächst nach Darmgeräuschen, wurde aber einigermaßen hörbar, als er sich mehr traute. Er suchte in seinem Gedächtnis nach den passenden Griffen und setzte nun noch lauter an. Es tönte zwar erbärmlich aus dem Schalltrichter und war um Halbtöne verschoben, doch vorne am Steg drehte sich Lydia um und sah streng in Richtung Lindauer Hof, von wo nun erkennbar die Melodie von Oh du fröhliche erklang.
    »Auch nicht besser!«, schimpfte sie, und, zu Wenzel gewandt, »das ist doch der Conrad, das hör ich doch, jetzt trötet der auch noch herum!«
    Wenzel grinste böse und sah hinüber zum Toten, dem ein letztes, makabres Ständchen dargebracht wurde. Halblaut und in murmelndem Singsang kam es von Wenzel: »Oh du fröhliche, alles ist hin.«
    Lydia Naber wiederholte bitter: »Genau. Oh du fröhliche, alles ist hin.«

    Schielin zeigte Josef die sechs Ventilgriffe für Oh du fröhliche und nahm ihm das Versprechen ab, bis dass es heller Tag geworden war, nicht mehr zu trompeten.
    Wie ein Geist verschwand er anschließend wackelnd und tänzelnd im Schatten des alten Rathauses.
    Schielin nahm den Weg nach rechts zum Finanzamt und ging nicht, wie er es zunächst beabsichtigt hatte, zu den Hotels, um mit der Befragung etwaiger Zeugen zu beginnen. Er benötigte ein wenig mehr Zeit um seine Gedanken zu sortieren, denn die Eindrücke waren zu intensiv, als dass er jetzt routinierte Fragen hätte stellen können.
    Der Hafen lag jetzt gespenstisch still. Selbst vom Bahnhof drüben war nichts zu hören; nicht das Wummern der Diesellokomotiven, nicht das Kreischen der Bremsen und auch nicht dieses wilde Zischen, das für Sekunden hörbar wurde, wenn die Rangierer die Bremsschläuche abkoppelten.
    Die Bootsstege lagen verlassen und kalt, kein Schiff tutete mit tiefem und warmem Dröhnen, um die Einfahrt in den Hafen oder die Ausfahrt anzukündigen, ganz zu schweigen von der sommerlichen Fröhlichkeit, die an warmen, lichten Tagen den Hafen erfüllte.
    Eine bange Stille hatte die Insel während der Nacht erfasst und bis jetzt noch nicht wieder losgelassen. Der Morgen zögerte noch, der immer wieder auflodernde Wind trieb die Kälte bis zur Bitterkeit und verirrte Schneeflocken tänzelten zu Boden.
    Schielin bog nach rechts ab, passierte das barocke Gebäude des Finanzamtes und ging weiter in Richtung Löwenmole. In den Momenten, in denen das Sausen des Windes für einige Zeit erlosch, war der See matt zu hören. Träge schwappte das Wasser gegen die Hafenmauer. Er holte die Taschenlampe aus der Tasche und leuchtete in den Winkel des Zugangs zum Römerbad. Es war nichts Auffälliges festzustellen. Ein Stück weiter nahm er die Stufen, die hinauf zur Löwenmole führten. Am Mauervorsprung zuvor war eine Gedenktafel eingelassen, die an die Renovierung erinnerte, die in den Achtzigerjahren stattgefunden hatte. Schielin fielen die armen Jugoslawen ein, die da illegal für ein paar Mark in der Stunde einen Sommer lang gebuckelt hatten; untergebracht in miesen Baracken im Hinterland. Als sie dann nach Hause fahren wollten, waren sie dummerweise in Kontrollen geraten und hatten einen großen Teil ihres bitter verdienten Geldes als Strafe abgeben müssen. Ihm hatte es körperlich wehgetan und er erinnerte sich daran, wie hartnäckig Kimmel mit den Staatsanwälten verhandelt hatte, um die Zahlungen zu drücken. Von all dem stand nichts auf der polierten Tafel. Für solche Geschichten waren solche Tafeln nicht gedacht.

    Er ging in Richtung Löwen. Der Blick nach Süden ließ die Rheinmündung und das schweizerische Ufer erkennen und im Osten, hoch über den Dächern von Bregenz, verhießen kraftlose graue Schleier die Ankunft des Tages. Ein Rabe flog auf und ließ ein schwarzes Krächzen über das Wasser hallen. Der Wind war hier böiger.
    Er drehte sich dem Hafen zu und sah über das schwarze Wasser hinweg zum Steg, wo immer noch die Leiche des
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