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Hafenweihnacht

Hafenweihnacht

Titel: Hafenweihnacht
Autoren: J.M. Soedher
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Abkühlung der letzten Tage hatte viele auf den ersten Schnee hoffen lassen, doch im müden Rieseln der Regentropfen erstarb die Hoffnung auf den erhebenden Anblick überzuckerter Inseldächer, von denen helle Rauchfahnen emporstiegen und Wärme und winterliches Glück verhießen. In vielen Herzen glomm noch eine Glut des Vorjahres, gleichermaßen gespeist aus Erinnerungen und Vorstellungen an das Weihnachtsfest. Und dieser matte Funke barg wohlige Gefühle, kinderhaften Wunderglauben und den Rückblick auf so glückliche wie längst vergangene Augenblicke. Und bei vielen erstand aus dieser Glut ein kleines Feuer, das den Lebenserfahrungen eines erwachsenen Menschen, enttäuschten Hoffnungen und dem immer gleichen Pfaffengeschwätz standgehalten hatte.
    Zu dieser erwartungsvollen Empfindung passte kein Regen, und als er in der Nacht endete, so unspektakulär, wie er gekommen war, brauste ein schneidender Nordost in jeden Winkel und jede Ecke und machte die Kälte in einer Heftigkeit fühlbar, die hilflos machte. Noch vor der Dämmerung fiel endlich Schnee und als die ersten Lichter aufschienen, waren Straßen und Wege von einem dünnen, weißen Schleier überzogen.

    Es waren geduckte Gestalten, die in der frühen Dämmerung durch die Straßen und Gassen der Insel zogen und den Schutz der Hauswände suchten, vor der Glätte und den immer wieder auffrischenden Böen.
    *
    Schielin fluchte, als das Handy in der Innentasche seines Jacketts vibrierte. Es war noch dunkel und im Moment wollte er sich auf den Weg zur Dienststelle machen.
    Wenzel war der frühe Anrufer, der Schielin mit knappen Worten darüber informierte, dass er sich gerade am Steg im Seehafen befand – auf Platz 5 , gleich neben dem Mangturm.
    Schielin verstand in der ersten Aufregung nur Steg, Mangturm, Toter und Hafen. Er fragte unwirsch: »Was denn, schon wieder was im Segelhafen!?«
    Wenzel beschwichtigte ihn und suchte gleichsam nach deutlichen Worten. »Nein. Nicht die Mole im Segelhafen, sondern der Steg im Seehafen, Platz 5 , direkt am Mangturm, wo die Königin Katharina, das Ausflugsschiff, das flache, oft liegt. Gegenüber vom Rüberplatz.«
    Jetzt hörte er ein »Aahh« von Schielin, der nun genau wusste, wo er gebraucht wurde: am Rüberplatz also. Vor ihm tauchte weder das Bild des Lindauer Hafens auf noch die markante Form des Mangturms; vielmehr ein altes Portrait von Eduard Rüber, jenem Architekten, der unter anderem den Lindauer Leuchtturm und das Hotel Bayerischer Hof entworfen hatte und der verdienterweise mit einem eigenen Platz geehrt war.
    Wenzel meinte, dass Schielin gar nicht erst zur Dienststelle fahren, sondern gleich auf die Insel kommen sollte. Lydia wäre auch schon mit ihm vor Ort.
    Schielin brummte etwas Unverständliches ins Telefon. Es wollte ihm nicht so ganz klar werden, weshalb Lydia bereits so früh schon dort war.
    Er zwängte sich in den alten Passat, dessen Sitz von Marja wieder weit nach vorne justiert worden war, und hoffte, dass die alte Kiste trotz des Kälteeinbruches anspringen würde.
    Der neue Fall kam ihm ungelegen, jetzt so kurz vor Weihnachten. Er war auf der Suche nach einer Idee für Weihnachtsgeschenke, die in der Lage waren, bei seinen Lieben die Äuglein zum Leuchten zu bringen. Eine jährlich wiederkehrende, schier unlösbare Angelegenheit.
    Der Passat stotterte und holperte zwar, setzte sich aber ohne weiteres Ruckeln in Bewegung.

    Er fuhr vorsichtig, denn bereits der kurze Gang vom Haus zum Auto hatte ihm gezeigt, dass unter der leuchtenden Schneeschicht eine so dünne wie gefährliche Eisschicht verborgen lag. Es war wenig los und entgegen allen Verkehrsanweisungen nahm er die Abkürzung vorbei an der Heidenmauer, fuhr entgegen der Fahrtrichtung durch die Fischergasse, passierte das Stadttheater und hielt direkt am Hafen vor der Mole. So war er sein Lebtag noch nicht gefahren und es kam ihm selbst fremd vor.

    Ein Lichtmast der Feuerwehr stand bereits vor der Mole und warf ein hartes Licht über das Wasser hinweg bis zur Löwenmole. Der weiße Schneeüberzug steigerte die Kontraste und es dauerte, bis sich die Augen an die grelle Helle gewöhnt hatten. Hinter den Hafenanlagen, über dem freien See, dämmerte der Wintermorgen. Schielin sah Lydia Naber, die mit einigen Feuerwehrleuten sprach und mit ihren Händen in Richtung Steg wies. Dort stand Wenzel ganz allein, mit verschränkten Armen und wartete. Wieso war er nicht mit Spurensicherung befasst, fragte sich Schielin. Er klappte den Kragen
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