Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hafenweihnacht

Hafenweihnacht

Titel: Hafenweihnacht
Autoren: J.M. Soedher
Vom Netzwerk:
die Adresse vom Gericht her, aus den Schriftsätzen eben. Ich habe an seiner Wohnung geläutet, aber er war nicht zu Hause.«
    »Wann war das?«
    Sie überlegte und dabei trug ihr Gesicht einen Ausdruck von Vitalität und Selbstbewusstsein. Sobald sie sprach, verschwand dieses Aufscheinen wieder. Lydia Naber hatte es registriert und war sich über diese Person nicht mehr sicher.
    »Ich bin erst spät aus Ulm weggefahren, ungefähr nach zehn Uhr. Am Stiftsplatz habe ich geparkt, bin zur Wohnung und von dort weiter in den Hafen. Mein Bruder kann nicht lange wach bleiben, nicht länger als bis eins. Dann muss er schlafen.«
    »Was war im Hafen?«, fragte Schielin mit Nachdruck. Er ließ seine bisherige Vorsicht sein, denn auch er hatte gemerkt, wie die Stimme dieser Frau fester und bestimmter geworden war, wie sich ihr Körper gestrafft hatte. Es war, als gäbe ihr die Erinnerung an das Geschehen im Hafen Kraft.
    »Ich bin von der Römerschanze her in den Hafen gekommen. Es war zwar kalt, aber in der Nacht so alleine da spazieren zu gehen, das hat mir gutgetan.«
    »Wie haben Sie Ihren Bruder gefunden?«
    »Oh, das ging schnell. Ich bin die Treppe von der Römerschanze runter ans Hafenbecken und da habe ich ihn schon gesehen. Ich kenne seine Art sich zu bewegen, seine Statur … er war da an dem Steg gegenüber. Erst habe ich nur gesehen, wie sich etwas im Lichtschein bewegt, ein Schatten. Es hat so ausgesehen, als wenn er auf dem Boden herumgekrochen wäre, um etwas zu suchen. Als er aufgestanden ist, habe ich ihn gleich erkannt.«
    »Sie haben ihm zugerufen, sich bemerkbar gemacht?«
    »Nein, das nicht. Ich bin vor zum Finanzamt gegangen. Er hat den Steg verlassen und ist in das Budendorf gelaufen … in Richtung Bahnhof.«
    »Er hat Sie nicht erkannt?«
    »Oh nein. Er sieht in der Nacht im Grunde nichts. Nachtblind sagt man dazu.«
    »Gut … er ist vom Steg aus, vorbei am Mangturm in Richtung Bahnhof gelaufen.«
    Lydia blinzelte Schielin zu.
    »Ja … dort hat er sich an den Buden zu schaffen gemacht. Ich wollte schon zu ihm hin, aber da ist ein anderer Mann vom Bahnhof hergekommen.«
    »Wie sah der aus?«
    »Oh … wie sah der aus. Er war … älter, denke ich, kleiner, etwas gedrungen.«
    »Und weiter?«
    »Jochen hat was aus der Bude geholt, oder dort gesucht. Es könnte eine Taschenlampe gewesen sein, denn als er von dort zurückkam, leuchtete eine Taschenlampe in seiner Hand. Vorher hatte er keine Taschenlampe bei sich. Vielleicht hat er da vorne etwas gesucht. Ich weiß es nicht. Der Mann war ihm ein Stück voraus. Ich habe gesehen, wie er auf einmal stehen geblieben ist und zum Steg hingeschwenkt hat. Da hat er etwas aufgehoben. Ich habe das nicht genau gesehen, aber er hat was aufgehoben … Jochen ist dort auf ihn getroffen, er hat etwas gerufen, was ich nicht verstanden habe … dann ging das ganz schnell … plötzlich haben die miteinander gerangelt und einer von beiden war verschwunden und der kleine Gedrungene, der ist davongerannt.«
    »Sie sind nach vorne zum Steg und haben nachgesehen.«
    »Ja, das habe ich.«
    »Sie haben zuvor nicht gehört, wie jemand ins Wasser gefallen ist?«
    »Nein. Ich stand hinter einer Bude und da hat eine Plastikplane laut im Wind gerüttelt, da habe ich nichts gehört.«
    »Erzählen Sie weiter!«
    »Er ist gerade an der Leiter nach oben geklettert. Der andere hatte ihn ins Wasser gestoßen, oder er ist bei dem Gerangel gestürzt, genau weiß ich es nicht.«
    »Was haben Sie getan?«
    Sie hob den Kopf und sah Schielin mit offenem Gesicht an. »Ich habe gewartet, bis er die Hand auf die oberste Stufe gelegt hat und bin mit meinem Fuß auf die Hand getreten … lange, dann ist er zurückgefallen … ins Wasser. Ich habe mich umgedreht und bin gegangen.«
    Es war Lydia Naber, die laut schnaufte. »Sie sind gegangen? … Sie sind nicht noch einmal zurück, um zu sehen … um ihm zu helfen … vielleicht konnten Sie es nicht …«
    »Nein, ich bin gegangen«, sagte Britta Drohst mit klarer Stimme.
    »Wussten Sie denn nicht, dass Ihr Bruder nicht schwimmen konnte, es war eisig kaltes Wasser. War Ihnen klar, was das bedeutete?«
    »Ich stand in der Nacht vor dem Haus und habe lange versucht die Tür zu öffnen, bis ich merkte, dass die Schlösser ausgewechselt worden waren. Dazu hatte er kein Recht … dazu hatte er kein Recht.«
    Schielin hob an eine Frage zu stellen. Sie sagte leise und dennoch bestimmt, nicht mehr reden zu wollen.
    Lydia blieb bei ihr.
    Schielin ging
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher