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Hafenweihnacht

Hafenweihnacht

Titel: Hafenweihnacht
Autoren: J.M. Soedher
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die Hände auf die Wärmflasche legen konnte, erhielt Gommi einen noch größeren Platz in ihrem Herzen, als dort eh schon für ihn reserviert war. Er schob wortlos die frisch gefüllte Zuckerdose über den Tisch und das raue Kratzen, das in den Moment wohliger Stille fuhr, ermöglichte Wenzel nun endlich zu berichten. Bislang hatte er diese eigentümliche Ruhe, die nur vom gemütlichen Schnaufen Hundle s und dem Rattern des Kühlschrankes begleitet wurde, nicht stören wollen, denn sie hatte gutgetan und die Seele beruhigen können.
    Er berichtete nun mit ruhiger Stimme davon, wie es mit dem verstärkten Einsatz der Lötlampen gelungen war, den festgefrorenen Leichnam vom Boden freizubekommen. Der Gasbrenner im Zelt allein hätte das nicht vermocht, zumindest nicht in einer erträglichen Zeit. Der Tote befand sich bereits auf dem Weg nach Memmingen; vielleicht war er dort bereits angekommen. Die Kleidung des Toten hatte nur wenig unter der Einwirkung der Lötlampen gelitten und bevor der Transport nach Memmingen erfolgt war, hatte er selbst zusammen mit einem Arzt im Lindauer Krankenhaus eine erste Leichenschau durchgeführt. Sie hatten die Schädelverletzung genauer angesehen. Am Körper gab es einige kleinere Verletzungen und die rechte Hand zeigte äußere Verletzungen – Risse und Quetschungen. Er erläuterte noch, dass diese Schädelverletzung, soweit man das bei einer Betrachtung von außen beurteilen konnte, nicht den Eindruck machte, mit brutaler Gewalt beigebracht worden zu sein. Die Schädeldecke war, nach der Druckprüfung mittels Finger, intakt und fest. Die charakteristische Nachgiebigkeit des Schädelknochens und das feine und doch spürbare Scheuern der Frakturen konnten weder er noch der Arzt bei der Untersuchung feststellen. Aber sie mussten trotzdem davon ausgehen, dass in dieser Verletzung die Todesursache zu suchen war. Der Kerl konnte ja schlechterdings ertrunken sein.
    Wenzels Stimme wurde ein wenig lauter, als er von der Durchsuchung der Kleidung berichtete und in Gedanken nochmals zu der Szene im Krankenhaus wanderte, wo er mehrfach die Taschen und Nähte von Hose und Jacke untersucht hatte. So sehr er auch gesucht hatte, war ihm bis auf einen Schlüsselbund, der in der rechten Jeanstasche steckte, nichts untergekommen, was die Identität des Toten hätte klären können. Und an diesem Schlüsselbund befand sich nichts, was ihnen weiterhalf. Den Zugang zum Steg hatte er von der Feuerwehr sperren lassen. Die hatten einfach eine der Buden vor den Zugang gerückt und die Seite mit Schalwänden verschlossen. Dem Tatorttourismus war damit ein Riegel vorgeschoben.

    »In der Kleidung war nichts zu finden, wirklich gar nichts?«, fragte Lydia, ohne damit einen Zweifel an Wenzels gründlicher Suche auszudrücken. Vielmehr war es ein Ventil für ihre Enttäuschung.
    Schielin hatte aufmerksam zugehört und inzwischen am Tisch Platz genommen. »Wir wissen also nach wie vor nicht, um wen es sich bei dem Toten handelt«, stellte er ruhig fest.
    Wenzel bestätigte mit einer lautlosen Geste seiner Hände, zog dann ein Plastiktütchen hervor, in welchem sich der Schlüsselbund befand, und schob es in die Tischmitte. Dabei erwähnte er beiläufig, dass er auf den Schlüsseln dreieinhalb Fingerabdrücke hatte sichern können, die sich bereits beim BKA zum Abgleich befanden; selbstverständlich zusammen mit den Kontrollabdrücken des Toten, soweit man die verwenden konnte.
    Seine Mitteilung führte zu keinen euphorischen Reaktionen, denn sie alle waren an die neuen Technologien wie Livescan und Videostreaming derart gewohnt, dass es ihnen inzwischen als gewöhnlich erschien. Früher, ja früher hatte das Tage gedauert.
    Einzig Erich Gommerts Gedanken wanderten zu dem Toten und zu der Frage, wie es wohl zugegangen sein mochte, bei einem angefrorenen Toten die Fingerabdrücke zu nehmen? Er schüttelte sich.
    Die Blicke hefteten sich auf diesen Schlüsselbund, der einsam auf der Tischplatte lag und Schielin nahm ihn nach einigem Zögern in die Hand. Fünf Schlüssel hingen an einem schweren, metallenen Anhänger. Ein Autoschlüssel befand sich nicht darunter. Vier klassische Wohnungsschlüssel und ein kleinerer, der für einen Briefkasten bestimmt sein konnte. Einer der vier großen Schlüssel leuchtete und blitzte silbern. Er musste nagelneu sein. Schielin nahm den Schlüsselbund aus der Plastiktüte und betrachtete sich den neuen ganz aus der Nähe. »Der hat noch gar keine Gebrauchsspuren; scheint neu zu sein.
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