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Hafenweihnacht

Hafenweihnacht

Titel: Hafenweihnacht
Autoren: J.M. Soedher
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Platz 5
    Ein schaler Regen war in der Nacht über den See und die Stadt gekommen. Niemand hatte ihn zu dieser Zeit ersehnt. Als der Morgen dämmerte, blinkten Dächer und Straßen der Lindauer Insel in kühlem Glanz. Stumm und mit großer Gleichgültigkeit fiel der Regen und ließ einen die Kälte eindringlicher und näher spüren. Der See hatte noch Reste des Sommers gespeichert, um dem ersten Eindringen des Winters zu wehren.
    Droben, jenseits des Schönbühls, plagte ein schwerer Schnee die Bäume, deren Kronen sich unter der Last zur Seite duckten. Von Osten blies ein eisiger Wind, der sich noch kälter anfühlte, wenn die kurzen, grauen Tage schwanden und die Nacht über Stadt und Land kam. Die Lichter flackerten dann unscharf durch die Luft und drunten, auf der Insel, bliesen die Böen die Nässe in jeden Winkel, in jede Ecke.

    Die Kälte machte still und zugleich die heiteren Tage des Jahres vergessen. Aus diesem Grund, vor allem aus diesem Grund, war dieser Regen unerwünscht, denn seine stoische Unnachgiebigkeit verwässerte und verwischte jede Erinnerung: an die aufdringliche Fröhlichkeit der Frühlingsfarben, das Lachen und die schwülen Momente des Sommers, die Unbeschwertheit der Ferien, die Ausgelassenheit und nicht zuletzt die Heiterkeit, die sich in der Stadt hatte ausbreiten können. Selbst das warme, und zu anderen Zeiten wie ein Baldachin über der Insel schwebende Geläut, zertröpfelte im metronomenhaften Gleichmaß des Niederschlags. Als hätten kahle Bäume und die kürzeren Tage nicht schon hinreichend auf die schwermütigere Zeit des Jahres hingewiesen. Die goldenen Herbsttage waren lange vorüber, und wer konnte, blieb an diesen Tagen hinter schützenden Mauern und beschlagenen Scheiben. Die Insel lag geduckt und wie schlafend im Schatten der sanften Hänge in ihrem Rücken, die weißen Schimmer zeigten.

    Der See hatte sich schon seit geraumer Zeit zurückgezogen und ruhte weit vor den Mauern der Stadt, dumpf, still und ergeben, wie ein vom vergangenen Treiben ermattetes Wesen. Weit reichten die Uferstreifen hinaus und die Kiesbänke lagen blank, nur garniert mit Holzstämmen, deren kahle Stümpfe sich bizarr in die Luft reckten. Die weite Wasserfläche zwischen der Stadt und den Bergen lag in solch magischer und dunkler Einsamkeit, dass man meinen konnte, alles hier am See war von dieser Stille erfüllt, geradeso wie man als flüchtiger Betrachter im Sommer den Eindruck gewinnen konnte, hinter jeder Mauer, hinter jedem Fenster wohnten hier Glück, Wonne und Zufriedenheit. Was man sah, war nur eine Sammlung von Augenblicken, in denen rote Dächer, eine weite Wasserfläche, mächtige Berge und ein lichter Himmel einem das eigene Herz näherbrachten. Doch es war kein Blick auf die Natur und schon gar keiner in sie – es war nicht mehr als die Sicht auf eine Kulisse; eine Kulisse allerdings, die prächtiger sich niemand hätte ausdenken können und deren Anblick tiefe romantische Gefühle weckte.

    Drunten im Hafen widerstand man den Widrigkeiten und es ging laut zu. Es wurde gebohrt, genagelt, gehämmert und gesägt. An manchen Ecken schien der rötlich warme Schein von Feuern auf, die in aufgeschnittenen Blechtonnen loderten und so eine Ahnung von Wohlbehagen verbreiteten.
    Aus den Mündern der Männer, die in dicke Jacken gepackt waren, entwichen hellgraue Schwaden, wenn sie einander etwas zuriefen. Keiner von ihnen verlor ein unnützes Wort. Die Gesichter unter Kapuzen versteckt, ging ein jeder still seiner Arbeit nach. In wenigen Stunden war aus Holzwänden und Eisenträgern eine kleine Stadt entstanden, die jener Glut aus bewahrten Erinnerungen und Empfindungen eine Heimat sein sollte.
    So jedenfalls sah es das Marketingkonzept vor.
    Zwischen Glühwein und Kitsch, Holzspielzeug und esoterischem Kram, zwischen Nikoläusen, Elchen, Engeln, Jesuskindlein, heilenden Steinen; im Geruchsparadies gebrannter Mandeln und Glühweindämpfen, eingebettet in ein von Tausenden Glühlampen erzeugtes Lichtermeer, sollte die Sehnsucht nach Frieden in den Herzen der Menschen ihre Erfüllung finden.
    Jetzt, in der dämmrigen Kälte, roch es nach harzigem Holz, Zigarettenqualm, Benzin und Diesel. Von der breiten und stolzen Hafenpromenade, die die Hotelreihe vom Hafenbecken trennte, war nur ein schmaler Pfad geblieben, der durch das Dorf der Holzbuden leitete. Das Karussell drehte sich, und einsam zogen Elefant, Motorrad und Pferd ihre Kreise. Alles fror.

    Mit der Dunkelheit war es ruhig geworden. Die
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