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Hämoglobin (Jacks Gutenachtgeschichten) (German Edition)

Hämoglobin (Jacks Gutenachtgeschichten) (German Edition)

Titel: Hämoglobin (Jacks Gutenachtgeschichten) (German Edition)
Autoren: Torsten Sträter
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schaltete den Warnblinker ein, und sog heiße, abgasg e schwängerte Luft in seine Lungen.
    Dann versuchte er auszusteigen; ohne den eigenen Fahrtwind war sein Caddy eine verdammte indianische Schwitzhütte – mit einem kleinen Fehler: E s erschienen nicht die Geister der T o ten. Nicht im Innern, zumindest. Knocke versuchte zu lachen, nur für sich, aber es kam nur ein staubiger Laut des Unbeh a gens.
    Die Karawane der Leichen zog an ihm vorbei. Manche grü ß ten, andere schauten starr geradeaus, als hätten sie Angst, eine Ausfahrt zu verpassen.
    Knocke sah im Rückspiegel, dass hinter ihm weitere Fahrzeuge heran kamen.
    Es waren tausende.
     
    Er fand keine Cola, aber das war auch nicht mehr sein vo r dringlichstes Problem.
    Knocke hatte begonnen, sich benutzte Papiertaschentücher in die Ohren zu stopfen.
    Er konnte nicht weiter fahren . E r wusste, was geschah, wenn er sich in die Karawane einfädelte . – A ber der Gesang des Blutes war nicht länger zu ertragen.
    Ein Mann muss tun, was er kann, also tat er es.
    Das Summen hatte einen irgendwie höhnischen Tenor, der ihm zusetzte, aber er lauschte trotzdem.
    Seine Uhr zeigte unglaubliche zwanzig nach sieben, als sein Blick zu den Armaturen schweifte, aber es erschien ihm nicht mehr wichtig.
    Er hatte Durst.
    Ein Lkw zog wie in Zeitlupe vorbei. Knocke konnte den Fa h rer nicht sehen, aber der Kabine des Lasters entwich ein be i ßender Gestank von faulem Fleisch.
    Um neunzehn Uhr zweiundvierzig wusste Knocke, dass er sterben würde, wenn er nichts unternahm. Der Gestank des Lkws, der sägende Klang der höllischen Arie aus den Boxen, die winkenden Kadaver: Es war genug!
    Seine Beine waren nun geschwollen und purpurfarben, aber sie spielten mit, als er gegen zehn nach acht durch die Sitze nach hinten kroch.
    Er riss den Deckel der ersten Box hoch und genoss für eine Sekunde den Eishauch, der ihr entwich.
    Reiß dich zusammen, dachte er. Du schaffst das.
    Knocke griff sich die ersten hauchzarten Plastikbeutel, en t nahm die kleine, gelbe Dateikarte und öffnete das Röhrchen, dessen Inhalt fast schwarz aussah.
    Sein Herz hatte wieder begonnen, Rumba zu tanzen, heftige Ausfallschritte mit kleinen, tückischen Pausen dazwischen – aber trotz der beginnenden Unschärfe seiner Wahrnehmung wusste er, dass die Kälte das Blut flüssig gehalten hatte.
    Flüssig genug.
    Er schaffte achtundzwanzig Röhrchen, manche rein wie Mo r gentau, andere karzinogen, überfettet, verseucht.
     
    Als sein Caddy gegen einundzwanzig Uhr von der Autobah n polizei, Bereich Wuppertal, auf der A 2 geborgen wurde, fa n den sie ihn wie einen Fötus zusammengekauert auf dem Rüc k sitz, das Gesicht völlig zugeschwollen, ein ausgefranstes L ä cheln des Triumphs auf den blutigen Lippen.
     
    Gegen dreiundzwanzig Uhr war Knocke dann doch noch im Labor.

Der Geruch von Blau
    Auf Station Grün spielte der Oberst gegen sich selbst Karten.
    Er fixierte sein Blatt wie ein Adler, während er seine knochigen Fingerspitzen hochkonzentriert aneinander rieb.
    »Morgen!«, rief ich ins Zimmer hinein, und der Oberst drehte den Kopf. »Ich habe ein Paket für Sie.«
    Er legte sein Blatt auf das glatte Weiß des Tisches, der inmitten eines ebenso weißen Zimmers stand – sah man von dem Kunstdruck ab, auf dem Rosina Wachtmeisters kubistische Katzen einen stummen Kampf gegen die Sterilität des Zimmers fochten.
    »Stell es da ab«, sagte er. »Die Schwester gibt dir ne Unte r schrift.«
    »Geben Sie mir eine, bitte.«
    »Kein Problem«, entgegnete er, runzelte aber die Stirn.
    Seine Unterschrift war schwungvoll und sauber.
     
    Mein Handkarren war an diesem Tag voll, und schon beim Beladen meines Transporters hatte ich beunruhigt die Unme n gen an Flüssignahrung registriert.
    Ich würde den Großteil meines Besuches auf Station Blau verbringen, Tür um Tür nach leisem Anklopfen öffnen, ohne je ein »Herein« zu hören, und leise meine Kartons abstellen, wä h rend mir der Geruch versagender Körper in die Nase steigen würde.
    Die Klientel für meine Lieferung Flüssignahrung.
    In ihren Zimmern hing ein saurer Geruch, und die LEDs der Überwachungskonsolen am Kopfende der Betten spiegelten sich in Flaschen, die tröpfchenweise sterile Flüssigkeit in uralte Adern abgaben.
    Ich hasste diese Station.
    Die meisten Passagiere von Blau unterschrieben nicht, genauso wenig wie sie sprachen, lachten oder sich bewegten. Sie waren wie ein Postkartengruß vom Tod : dicht beschriebenes Perg a ment des Verfalls
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