Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hämoglobin (Jacks Gutenachtgeschichten) (German Edition)

Hämoglobin (Jacks Gutenachtgeschichten) (German Edition)

Titel: Hämoglobin (Jacks Gutenachtgeschichten) (German Edition)
Autoren: Torsten Sträter
Vom Netzwerk:
diensthabende Beamte. Netter Aufzug.«
    Der Polizist ließ sein Fick-Heftchen mit der Lässigkeit eines professionellen Hütchenspielers in einer unsichtbaren Schubl a de verschwinden.
    »Ja, danke«, erwiderte ich. »Kann ich nun zu ihm?«
    »Sicher. Folgen Sie mir.«
    Er führte mich ins Untergeschoss, vorbei an komatösen Bea m ten an Schreibmaschinen und einem Zivilfahnder, der sich auf einer Tischtennisplatte zusammengerollt hatte. Ein klarer Spe i chelfaden rann aus seinem Mund und kristallisierte nahe der Aufschlaglinie.
    Wir drangen tief in den Bauch des Gebäudes vor, während er mich ins Bild setzte.
     
    »Er entzieht sich jedem unserer Verfahren, ihn auszufragen.«
    Ich nickte.
    »Ich meine«, fuhr er fort, »Sie kennen ihn. Trotzdem: Bleiben Sie von den Gittern weg.«
    »Jou.«
    »Nehmen sie nichts an, was er Ihnen reichen will.«
    »Is klar.«
    »Und«, er blieb stehen, »beantworten Sie ihm keine persönl i chen Fragen. Ich jedenfalls hab’s nicht gemacht.«
    Ich nickte erneut.
    »Er hat gegen Eins nach einer Bockwurst mit Kartoffelsalat verlangt; als Schröbelmeier reinging, um ihn zu fragen, ob er uns für nen Schnellimbiss hält, hat er ihm das hier angetan.«
    Der Polizist hielt mir ein Polaroid unter die Nase.
    Im Nagelbett seines Daumens sah ich übrigens eine Substanz, die türkiser Nagellack sein konnte. Ich n a hm an, dass er auf vierhundert Euro Basis auf Hochzeiten die Suleika gab, La p dance inklusive, aber dieser Gedanke beschäftigte mich nur einen Moment.
    »Er hat Schröbelmeier die Uniform vollgepinkelt, als dieser eintrat. Ich schätze, sein Puls ging nicht über achtzig, als er das tat – allerdings hat er ziemlich rumgekreischt.«
    Das Foto war eine Symphonie aus Kord, Urin und tiefroter Gesichtshaut.
    Die Augen des Polizisten tasteten mein Gesicht nach irgende i ner Gefühlsregung ab, aber ich zuckte nicht mal.
    Schließlich kannte ich den Inhaftierten schon lange – seit Ja h ren.
    »Gehen Sie durch diese Tür hier. Sehen Sie nicht in die Zellen. Die meisten sind durch das Gebrüll zwar wach geworden … A ber trotzdem. Die Zelle ist ganz hinten.«
    Ich hörte meine Schritte auf dem Linoleum, als ich den Gang hinunter schritt. An der Wand hingen Poster von gesuchten Personen, überwiegend Männer . E ine Menge Koteletten und durchschnittlich fünftausend Euro Belohnung. Harmlos im Vergleich zu der Person, der ich nun gegenübertrat.
    Dann war ich da.
     
    Er saß da und las in einer Ausgabe von »Der Wachturm«, die offensichtlich einem verzweifelten Langzeitinhaftierten als Wichsvorlage gedient hatte.
    Das Papier war klatschnass, aber es haftete vorzügl ich an den deformierten Stumpen seiner linken Hand, an der einige Finger fehlten.
    Onkel Erwin trug einen gehäkelten Pullunder in G rün . W er auch immer dieses Kleidungsstück gefertigt hatte, wusste nicht, wie man ein Rentier häkelt: Das Vieh auf seiner Brust wirkte wie eine Mischung aus Kalle Wirsch und dem Hund von Baskerville.
    »Schön, das s du auch mal kommst, Junge. Schicke Klamotten.«
    Ich sah, da s s seine Hose noch geöffnet war : D rei Quadratmeter brauner Breitkord, dahinter der Beweis, dass es keinen Gott gab.
    »Was hast du angestellt?«
    »Komm«, schnarrte er, »nimm erst mal ein Pfefferminz.«
    Er griff mit der rechten Hand – seine r Schusshand, hätte John Wayne gesagt, ich aber wusste, es war seine Sack-Hand – in die Hosentasche und beförderte einen strahlend weißen Klumpen ans trübe Zellenlicht.
    Nehmen Sie nichts an, was er ihnen reichen will.
    »Och nö. L ass mal.«
    Früher waren es ordinäre Kandis gewesen, mit denen Erwin uns Kinder geködert hatte, damit wir ihm Kartoffelsäcke in den achten Stock trugen.
    Erwin lernte offenbar dazu; hätte er noch zehn Jahre zu leben, würde er vermutlich irgendwann Crack oder Strasssteine ei n setzen. Jedenfalls machte er mir damit klar, dass er meine Hilfe benötigte.
    »Was ist passiert?« , fragte ich.
    Er stand in der Mitte der Zelle, als würde er auf den Bus wa r ten.
    »Ich war mit Polenwerner im Husarenstübchen …«
    Seine Stimme hatte eine Tonlage angenommen, von der ich wusste, das s er sie für hündisch hielt. In Wirklichkeit war sein Ton stinknormal: Zimmerlautstärke und ohne Speichelgespri t ze.
    » … u nd nach ein paar Bier kam dieses Luder rein und hat uns aufreizend angemacht. Kennst das ja.«
    Kannte ich nicht. Ich war nur einmal im Husarenstübchen gewesen . E ine Impression, die mir weitere Besuche als absurd erscheinen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher