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Hämoglobin (Jacks Gutenachtgeschichten) (German Edition)

Hämoglobin (Jacks Gutenachtgeschichten) (German Edition)

Titel: Hämoglobin (Jacks Gutenachtgeschichten) (German Edition)
Autoren: Torsten Sträter
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Hände lagen auf den Knien. Er konnte die Finger bewegen, mehr nicht.
    Gib der Tante die gute Hand, hatte meine Mutter immer g e sagt.
    Die gute Hand war rechts, oder?
    Seine Augen weiteten sich, als sich die Klinge seinem Daumen näherte.
    »Wissen Sie was?« sagte ich. »Jack Daniels ist bei Ihnen viel zu teuer.«
    Dann schnitt ich.
    Der Grauhaarige produzierte ein schrilles Geräusch . K ein Schrei, kein Winseln , eher ein scharfes, wimmerndes Ausa t men. Das Blut aus der langen Wunde, die wie die aufgeplatzte Haut einer Bratwurst aussah, lief auf seine Jeans. Es war e r staunlich viel, wenn man bedachte, das s es nur aus dem Da u men kam.
    Der Stuhlmann stöhnte. Seine Gesichtsfarbe spielte nun ins B lässliche.
    Ich lächelte.
    »Wer ist Franco?« Mich interessierte, wie viel Schaden ich ang e richtet hatte, falls er tot war.
    »Leck mich am Arsch!«
    »Später vielleicht.«
    Sein Zeigefinger erschien mir zu ernst. Ich verpasste ihm einen lachenden, roten Mund.
    »Ein Priester oder so was. Spezialisiert auf diesen Voodo o-M ist.«
    »Und woher kommt er?«
    Der Mann sah mir direkt in die Augen. Er machte einen sehr koope rativen Eindruck.
    »Er ist vor einiger Zeit nachts hier aufgekreuzt. Hat Süßigkeiten gekauft . S o kamen wir ins Gespräch.«
    »Könnte sein, dass er tot ist«, sagte ich.
    Ich meinte, zusammen mit dem Geruch seines Blutes eine sti n kende Woge hündischen Respekts zu erschnuppern. Es roch wie Urin.
    »Wieviele von den Jungs haben S ie beide verheizt?«
    Ich wollte nicht getötet sagen – streng genommen lebte man ja nach der Prozedur Francos noch , mehr oder weniger. Aber andererseits war auch von einem Jungen die Rede gewesen, der zerkleinert worden war.
    »Hast d u doch gesehen«, sagte er leise.
    »Nochmal«, sagte ich, »wieviele?«
    Er presste die Lippen aufeinander.
    Die Solinger Klinge fand im Ringfinger des Gefesselten noch mehr Blut, das ganz offensichtlich an die Luft wollte. Es mac h te verdammte Freudensprünge.
    »Fünfzig … Hundert oder so«, schrie er.
    Mir wurde schwindelig.
    Hundert? Wo waren die alle geblieben?
    Vergraben? Verkauft? Verbrannt? So viele Leiber, so viele L e ben …
    Verschleuderte Existenzen – nicht ganz wie mein Leben, aber fast.
    Hergelockt mit dem Versprechen von Geld, oder schlimmer: E inem Versprechen, zu arbeiten, akzeptiert zu werden und nützlich zu sein – um dann abzubrennen wie Wunderkerzen.
    War das letzte, was sie im verwaschenen Tunnelblick ihres schwindenden Lebens gesehen hatten, die gläserne Kleingel d schale dieser Tankstelle gewesen, wenn sie hinter dem Tresen gestanden hatten, während die Stunden der Nacht versickerten?
    Oder hatten sie ihre eigene Demontage erlebt, aber nicht g e spürt?
    War der letzte Vorhang aus dunkler Plastikfolie gewesen?
    Es war genug.
    Der Chef des Hauses weinte jetzt. Es war erbärmlich.
    »Unter der Spüle ist Geld«, sagte er, Rotze hochziehend.
    »Ich gehe jetzt«, sagte ich.
    »Ich verblute hier!«
    »Soll ich die Bullen rufen? Die bringen sicher Pflaster mit.«
    Er schwieg.
     
    Als ich erneut die Halle betrat, stellte ich fest, dass Francos Körper fort war.
    Die Männer in den Plastikbeuteln waren auch weg und das Rolltor stand offen.
    Ich sah die Blutspuren des Priesters, wo ich ihn niedergetreten hatte – chaotisch mit Süßigkeiten dekoriert – aber kein Blut, das eine Fährte zum Rolltor ge legt hätt e.
    Keine Beweise, n irgendwo.
    Nur eine Wunde im Bein, Marzipan und Gummibärchen am Boden, ein blutender Mann auf einem Stuhl und Geld.
    Ich ging zurück und holte es.
     
    Das alles ist jetzt sieben Jahre her.
    Wir sind wieder zusammen, seit sechs Jahren.
    Sie kam im darauf folgenden Sommer zurück . Martin hatte ihr erzählt, ich wäre umgezogen, und sie spürte mich in meinem Stadtappartement auf . V ier Zimmer, Badewanne, Balkon.
    Ich gebe zu, dass ich hoch erfreut war. Mehr als das. Wenn ich nun aus dem Fenster schaue, während ich dies hier schreibe, kann ich das Stadttheater sehen – aber ich muss dafür die g i gantische Diddl-Maus ein Stück zur Seite schieben.
    Ab und zu denke ich darüber nach, ob ich alles richtig gemacht habe.
    Wenn sie von hinten ihre Arme um mich legt, würde ich das bejahen, aber jetzt gerade lautet die Antwort: K eine Ahnung.
    Ich erspare I hnen Details , nur soviel: D as Geld reichte.
    Es reicht noch immer.
     
    Warum ich das alles aufschreibe? Nun , g estern waren wir im Kino.
    Als wir zurück fuhren, passierten wir die Tankstelle, obwohl ich das in den
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