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Im Kerker der schönen Justine

Im Kerker der schönen Justine

Titel: Im Kerker der schönen Justine
Autoren: Jason Dark
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Außerdem war die vierzigjährige Frau froh, nicht in der Großstadt arbeiten zu müssen. Auf dem Land ging es weniger hektisch zu. Da hatte sie noch Zeit, sich um die kranken Menschen zu kümmern. Sie hörte sich deren Sorgen an und versuchte immer wieder, tröstende Worte zu sprechen.
    Nach einem Patienten wollte sie noch schauen. Der Mann hieß Cecil Frazer. Aus ihr unerfindlichen Gründen lag er in einem Einzelzimmer, was sonst bei dem Gesundheitssystem überhaupt nicht üblich war. Sie hatte einen der Ärzte nach dem Grund gefragt, aber der hatte nur seine Schultern angehoben und auf den Professor verwiesen, den Chef der Klinik. Aber mit dem wollte sie nicht sprechen, denn sie kannte seine Antwort bereits. Er würde ihr sagen, dass sie das gar nichts anging.
    Vor der Tür blieb sie für einen Moment stehen, räusperte sich und griff nach der Klinke. Dabei stellte sie wieder mal fest, dass Teile des Türlacks abgeblättert waren, aber das traf nicht nur auf diese zu. Bei den anderen Türen sah sie es ebenfalls, und auch die Wände des Krankenhauses waren davon nicht verschont worden.
    Sie öffnete die Tür und schob sie nach innen.
    Vor ihr lag ein kleines dunkles Zimmer. Mehr eine Kammer, aber mit einem Fenster ausgestattet, das nicht geschlossen war, denn dies spürte die Frau sofort, weil ihr ein kühler Luftzug entgegenwehte.
    Sie machte Licht.
    Es war keine grelle Helligkeit, die von der Decke floss und sie oder einen Kranken geblendet hätte. Es war relativ gut auf die menschlichen Augen abgestimmt, doch daran dachte Lilian Smith in diesen Augenblicken nicht.
    Sie hatte nur Blicke für das Fenster.
    Es stand tatsächlich offen. Hätte es eine Gardine gegeben, dann wäre sie bestimmt vom Wind bewegt worden, so aber schaute sie gegen die dunkle Öffnung. Dahinter lag der mit Büschen und Bäumen bepflanzte Park.
    Aber noch etwas anderes war ungewöhnlich in diesem Raum. Sie wollte kaum hinschauen und musste sich praktisch dazu zwingen. Dabei schlug ihr Herz schneller. Es war ein Phänomen, aber es stimmte und ließ sich nicht wegdiskutieren.
    Das Bett war leer!
    Urplötzlich fing Lilian Smith an zu schwitzen. In den Achseln öffneten sich die Schweißdrüsen, hinter der Stirn pochte es, und dass sie ihre Hand gegen den Mund presste, ließ darauf schließen, dass sie einen Schrei unterdrücken wollte.
    Ein leeres Bett, ein offenes Fenster. Beides ließ darauf schließen, dass der Patient verschwunden war und welchen Weg er genommen hatte. Er war durch das offene Fenster nach draußen geklettert und hatte sich so aus dem Staub gemacht.
    Plötzlich zuckten ihre Lippen. Es sah so aus, als wollte sie anfangen zu lachen, was ihr aber nicht gelang. Da drang nur ein scharfes Zischen aus dem Mund.
    Ihr wurde kaum bewusst, dass sie einen Schritt über die Schwelle ging. Am Körper merkte sie das Zittern, und auch die Beine gaben leicht nach. Sie blieb stehen, drehte jetzt den Kopf und schaute in den Zimmerecken nach, die nicht mehr in toten Winkeln versteckt lagen.
    Auch dort hielt sich niemand versteckt. Bis auf sie war das Zimmer menschenleer.
    Wieso? Wie hatte Cecil Frazer verschwinden können? Es war nicht möglich, nicht aus eigener Kraft. Okay, er war noch nicht alt, gerade mal vierzig Jahre, aber er hatte sich bei einem Sturz beide Fußknöchel gebrochen, und mit einer derartigen Verletzung war es unmöglich, sich allein zu bewegen.
    Es gab nur eine Lösung. Jemand hatte das Fenster geöffnet, war eingestiegen und hatte sich den Patienten geholt. So und nicht anders musste man die Dinge sehen.
    Was tun ?
    Lilian Smith wischte sich über die Stirn. Sie hörte sich selbst flüstern, ohne zu verstehen, was sie sagte. Wie eine Schlafwandlerin ging sie auf das Fenster zu und schaute hinaus in den dunklen Park.
    Für diese Jahreszeit war es einfach zu kalt. Der Wind wehte ihr ins Gesicht und ließ die Frau leicht erschaudern. Bäume und Strauchwerk standen voll im Saft. Sie bildeten Schattenfiguren in der Dunkelheit, die ihr unheimlich vorkamen. Nur eine Laterne gab Licht im Park ab, und die stand ziemlich weit entfernt.
    Hinter Lilian’s Stirn lag der Druck. Auch in der Kehle hatte er sich ausgebreitet, und sie merkte, dass die Furcht immer größer wurde. Sie und auch andere Menschen im Krankenhaus waren für die Patienten verantwortlich. Wenn nun jemand einfach verschwand, dann war das schlimm, und es bedurfte einer Erklärung – die sie aber nicht hatte...
    Zumindest keine, die sie hätte verantworten können.
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