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Hämoglobin (Jacks Gutenachtgeschichten) (German Edition)

Hämoglobin (Jacks Gutenachtgeschichten) (German Edition)

Titel: Hämoglobin (Jacks Gutenachtgeschichten) (German Edition)
Autoren: Torsten Sträter
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    Das Seil riss, und eine Tonne Pferdefleisch krachte auf unseren Steuermann. Aus mit Pegasus. Aus mit unserem Steuermann.
    Er war nur noch ein unförmiger Klumpen auf dem Deck, aber das Pferd lebte noch. Es schrie – anders kann ich es nicht s a gen.
    Der Kapitän wies mich an, das Tier zu › erlösen‹, aber ich denke, es hätte ihm gereicht, wenn ich es zum Schweigen gebracht hätte; ich schnitt dem Tier die Kehle durch. Wenn ich mich korrekt erinnere, hat der Kapitän mörderisch Zunder dafür bekommen, aber was hätte ich tun sollen?«
    Er nickte versonnen, aber ich meinte, einen milden Schmerz um seine Mundwinkel zu erkennen.
    »Wir schafften das Tier in den Laderaum und legten es auf Eis. Niemand wollte den Zossen – der Pferdehändler wurde richtig wütend. Ja. Richtig, richtig wütend, und so nahmen wir es mit. Dann schrubbten wir eilig das Deck, aber das Blut war schon in die Ritzen gesickert. Es begann unerträglich zu stinken, als wir einige Tage unterwegs waren.«
    »Und dann?«, fragte ich.
    »Und dann fuhren wir weiter nach Tulcea, einer rumänischen Stadt, in der wir Holz zu laden hatten. Der Hafen von Tulcea genügte in jeder Hinsicht den Ansprüchen von Matrosen, mein Junge«, sagte er ohne eine Spur von Anzüglichkeit, »wunde r schöne Frauen mit rabenschwarzem Haar. Wir freuten uns alle darauf. Auf die Fahrt übers Schwarze Meer allerdings weniger. Es war Winter, und das verwandelte die See in einen schwa n kenden Alptraum, mit einer Brise, die wie ein Rasiermesser schnitt.
    Aber das war unser Täglich Brot.«
     
    Ich sank ein wenig in meinem Stuhl ein und fragte mich unb e haglich, ob ich gegen irgendeine Hausordnung verstieß.
    »Kommt hier eigentlich niemand rein?«, fragte ich.
    »Nee. Nur , wenn ich klingele . U nd wenn ich das tue, bringen sie trotzdem weder Tabak noch Alkohol.« Diesmal lag bede u tend weniger Humor in seiner Stimme.
    »Wir kamen vom Kurs ab – nicht viel«, begann er wieder, als wäre es ihm unangenehm, über sein Leben auf Station Blau zu plaudern.
     
    »Es reichte, um uns statt nach Tulcea woandershin zu bringen, und da wollten wir wirklich nicht hin, aber ein Unwetter zwang uns den Kurs zu ändern, wenn wir nicht mitsamt dem toten Zossen über Bord gehen wollten.
    Der Kapitän, eigentlich ein Weichling, der brüllte, wenn spr e chen reichte, wurde wortkarg als wir ihn fragten, wann wir zu unserem Landgang kämen.
    ›Wir sehen, was wir machen können‹, sagte er nur. Ich schätze, die Seekarte sagte ihm gar nichts. Er las darin wie in Kaffeesatz.
    Wir landeten in der Fremde.
    Wir erreichten den Hafen am Spätabend des elften November, das weiß ich noch. Und wie es da war, weiß ich auch noch: Schwarzes Wasser, das gegen alte Hafenmauern schlug, die schrillen Schreie der Möwen und ein tiefroter Mond über i r gendwie verwachsen aussehenden Häusern, in denen kein Licht brannte. Wir waren nicht das einzige Schiff, aber das einzige in gutem Zustand . E inige Schoner lagen im Hafen, aber sie e r schienen mir verwittert und uralt, so als hätten sie es nur mit letzter Kraft hierhin geschafft.«
    »Moment«, warf ich ein. »Neunzehnhundertzwanzig?«
    Mir war etwas eingefallen: Wenn ich davon ausging, dass man vielleicht mit vierzehn schon auf einem solchen Kahn anheuern konnte, dann war der Alte vielleicht neunzehnhundertsechs oder -sieben geboren worden.
    Demnach war er nun fast hundert.
    »Ja«, erwiderte er mit einer wegwerfenden Geste, »so ungefähr Neunzehnzwanzig.«
    Er griff sich eine Marlboro und lächelte, als wollte er sagen, dass ein paar Kippen gegen seine Geschichte ein gutes G e schäft wären. Dann verdunkelte sich seine Miene, als wäre ihm etwas eingefallen.
     
    »Ich wollte von Bord und fragen, wo wir hier gelandet waren. Aber niemand war zu sehen, weder am Pier, noch auf den a n deren Schiffen. Dann«, sagte er ernst, »sah ich, dass ich jema n den übersehen hatte.
    Eine einzige Gestalt stand am Kai. Ich werde diesen Anblick nie vergessen, und ich habe diesen Mann nur dreimal gesehen. Er war … dünn. Ja, auf eine seltsam ausgezehrte Weise mager, und sein Gesicht schwebte über dem Schwarz seines Rocks wie ein eigener, blasser Mond. Er schritt langsam von Schiff zu Schiff, und als er zu unserem kam, blieb er stehen.«
    Er atmete tief ein, und seine Oberlippe zitterte, unmerklich fast, aber sie tat es.
    Diesmal war es an mir, ihn zu ermutigen. Mir kam es vor, als würde er seine Erzählung gern abbrechen.
     
    »Er winkte mir.
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