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Hämoglobin (Jacks Gutenachtgeschichten) (German Edition)

Hämoglobin (Jacks Gutenachtgeschichten) (German Edition)

Titel: Hämoglobin (Jacks Gutenachtgeschichten) (German Edition)
Autoren: Torsten Sträter
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lieferte tonlos Bilder einer Sendung über Sto r che.
     
    So betrat ich Zimmer für Zimmer, und in allen schlug mir di e ser Geruch entgegen – der Duft der Reisefertigen.
    Diesen Job konnte man nicht lieben.
    Man konnte ihn nur machen.
    Das letzte Zimmer: Ich war durch die Tür geschlüpft und hatte im Halbdunkel mein Paket abgestellt.
    »Tag, junger Mann«, hörte ich eine kraftvolle Stimme und zuc k te zusammen. Fast hätte mich der Schlag getroffen.
    »Äh – ha!«, erwiderte ich atemlos.
    »Ja, genau«, kicherte es aus dem Zwielicht. Dann wurde eine Nachttischlampe angeknipst.
    Ich sah in die blausten Augen, die ich je erblickt hatte; sie b e herrschten das Gesicht des alten Mannes, eingebettet in ein filigranes Nest aus unermesslich vielen Falten. Um seinen Mund spielte ein kleines Lächeln.
    »Haben Sie eine Mumie erwartet, junger Mann?«
    »So in der Art«, entschlüpfte es mir, und das brachte den Mann dröhnend zum Lachen.
    »Keine schöne Arbeit, was?«, fragte er lächelnd.
    »Es geht«, erwiderte ich.
    »Sind ja nur noch…« E r betrachtete mich abschätzend, aber mit seinem kleinen Lächeln . »…dreißig Jahre, hm? Dann hast du die Rente durch, und kannst es langsamer angehen lassen.«
    Ich war auf Station Blau in die Fänge eines Humoristen ger a ten, dachte ich, aber es war kein unangenehmes Gefühl. Besser als das seelenlose Blubbern der Aquariumspumpe.
    »So in etwa«, sagte ich.
    »Wenn du so alt wirst wie ich – und das wünsche ich dir eigen t lich nicht, nehme es mir nicht übel – wirst du viele Dinge a n ders sehen.«
    »Was denn zum Beispiel?«
    Er lachte erneut. »Dafür müsste ich wirklich weit ausholen.«
    »Verstehe.«
    »Hast du was zu rauchen, Junge?«, fragte er unvermittelt.
    Mein erster Impuls war eine flapsige Bemerkung; dann reichte ich ihm mein Päckchen Marlboro. Zu meiner Verblüffung ho l te er einen Marmoraschenbecher und Zündhölzer aus dem kleinen Beistellschrank neben seinem Bett.
    »Wenn du etwas Zeit hast, erzähl ich dir, was ich meine.«
    Ich war – und auch das war kein unangenehmes Gefühl – g e fesselt; die Augen des Alten blitzten unter der kleinen Schw e felexplosion des Zündholzes auf, und er lächelte mit gelben, aber echten Zähnen auf.
    »Aber es ist ein bisschen unglaubwürdig.«
    Er sog an seiner Zigarette, und das Auflodern der Glut verlieh seinen Augen einen gierigen Glanz.
    »Das ist das Schlimmste hier. Sie behandeln dich wie ein Baby. Keine Zigaretten, kein Schnaps, dafür Erbsen und Möhrchen. Ich finde nicht, dass es ein vollwertiger Ersatz ist, was?«
    Ich finde nicht, dass du auf Blau gehörst, dachte ich, nickte aber nur.
    »Ich erzähle es dir, wenn du es nicht als das Geschwätz eines alten Sacks abtust.«
    Sein Grinsen war ansteckend, aber ich dachte: Das musst du schon mir überlassen.
     
    »Ich komme aus dem Osten«, begann er.
    Ich nickte.
    »Wenn ich Osten sage, meine ich den Osten Deutschlands«, setze er hinzu, »das andere klang jetzt etwas Omar-Sharif-mäßig, oder?«
    Er lachte meckernd.
    »Ich war ein junger Mann, als ich mich entschloss, zur See zu fahren. Es gab nicht viel Arbeit damals, kann man wirklich nicht sagen. Also heuerte ich gegen den Willen meines Vaters auf einem Schiff an, das auf den Handelsrouten nach Ungarn unterwegs war. Damals arbeitete man für Essen und einen Schlafplatz, und das war gar nicht mal schlecht, wenn man meinen Vater kannte.« Er zog wieder an der Zigarette.
    »Wann war das?«
    »Lass mich nicht lügen . « E r zog die Mundwinkel nach unten . »Neunzehnzwanzig etwa.« Er schüttelte langsam und belustigt den Kopf, dann fuhr er fort.
    »Wir transportierten alles Mögliche: Kartoffeln, Kohle, Holz, selbst Passagiere. Und das war kein Zuckerschlecken für einen Gast auf unserem Schoner – alles schmutzig und enge Kajüten. Aber es war billig. Manchmal war es allerdings auch gefährlich.« Er drückte seine Zigarette aus, zog eine Augenbraue hoch und fischte eine neue aus der Schachtel.
    »Wir verluden mal ein Pferd, das irgendwo zu einem Stüt z punkt eines Reiterregiments an der Moldau gebracht werden sollte. Hab vergessen, wo genau. Jedenfalls konnten wir das Tier nicht brav über die Planke führen, weil unser Kahn nicht dicht genug an die Kaimauer rankam, und so verzurrten wir es und hievten es über eine Winde aufs Schiff. Unser Steuermann schrie die ganze Zeit ›Pegasus! Pegasus!‹ und lachte sich halb tot. Er hatte schon morgens ziemlich geladen, wenn du ve r stehst.
    Ohne es groß
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