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Letzte Gruesse

Titel: Letzte Gruesse
Autoren: Walter Kempowski
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    «Deutsche Wochen?»- Alexander hatte die Einladung spontan absagen wollen: vier Wochen Amerika? Aus allem herausgerissen werden, nicht mehr im Büchergang auf- und abschreiten, nicht im Garten den Frauen zusehen, wie sie sich über das Unkraut bücken; Harke und Hacke sind an die weiße Mauer gelehnt? Die rosa aufdämmernden Tage, die dunkelroten Sonnenuntergänge, die Silhouetten der Bäume vor den gefärbten Wolken - ausgreifend und verzweigt … Einen Acht-Stunden-Flug ertragen über nachtdunklem Meer, eingeklemmt zwischen Rauchern und Tempotuchmenschen, von vorn Gestank in regelmäßigen Anblasungen und von hinten endloses Gerede? Dann:«drüben»von einer Stadt in die andere vagabundieren, beleuchtete Wasserfälle, nachgebaute Einwandererhütten, Bibliotheken, eine wie die andere, schlechte Hotels! - Und Tag für Tag Rede und Antwort stehen müssen für Dinge, die man nicht zu verantworten hat?
    «Leugnen Sie auch den Holocaust?»
    Vor Leuten, die noch nie etwas von einem gehört haben, geschweige denn gelesen?
    «Warum schreiben Sie?»
    «Welche Position nimmt der Erzähler in Ihrer Prosa ein?»Nein.
     
    Andererseits: vier Wochen Amerika? Die täglichen Unannehmlichkeiten des Arbeitstages hinter sich lassen, der Roman kommt nicht von der Stelle, und die leidige Sache mit der Beleidigungsklage,«Dünnbrettbohrer», weshalb hatte er auch den an sich so liebenswerten Kollegen Mergenthaler aus Aschaffenburg einen Dünnbrettbohrer genannt?
    Vier Wochen entrückt zu sein, Gast, immerfort eingeladen zu werden zu Essen und Trinken und zusätzlich pro Lesung noch zweihundertfünfzig Dollar in die Hand gedrückt bekommen? Und: auch sonst alles gratis? Wäre es nicht eine Sünde, ein solches Angebot auszuschlagen? Vier Wochen kreuz und quer den neuen Kontinent bereisen? Auf den Klippen des Pazifischen Ozeans sitzen und sich von Schaum umflocken lassen … Ausgebreitet schweben über Canyons und riesige Flüsse, die Highways hinauf-hinuntergleiten durch Wälder und Wüsten, je nachdem? - Und: würde man die Erwartungen des deutsch-amerikanischen Instituts nicht enttäuschen mit einer Absage? Wer konnte denn wissen, wer sich stark gemacht hatte für ihn:«Ich bin dafür, daß wir endlich mal den Sowtschick hinüberschicken …»
    Eine Einladung war ja längst fällig gewesen.
    Zum Dank für solch warme Fürsprache dann ein Nein! aus Sassenholz wie eine kalte Dusche?
     
    Und: Wann käme man da mal wieder hin: New York, San Francisco, Boston, Denver … - Wo lag eigentlich Denver?
    Ganze Kompanien deutscher Schriftsteller waren bereits drüben gewesen, Niels Pötting, Hinze aus Mölln, Kargus aus St. Peter - sogar Ellen Butt-Prömse, eine Verfasserin von Pferde-Lyrik, und Udo Scharrenhejm, dessen Mutter aus Spanien stammte und dessen Vater Isländer war. Leute, die man besser hätte zu Hause lassen sollen, statt sie als Botschafter des Landes nach drüben zu schicken, wo sie dann mit narrativem Kitsch aufwarteten und in politischer Hinsicht sonst was erzählten; aller Welt auf die Nerven gingen, also - irgendwie peinlich.
    «Deutsche Wochen», da hatte man doch als ein deutscher Romancier eine Verantwortung zu tragen.
     
    Sämtliche Dichter männlichen und weiblichen Geschlechts, die vom deutsch-amerikanischen Institut hinübergeschickt wurden, hatten danach ein Buch über ihre Reise veröffentlicht, die Klippen des Pazifischen Ozeans erwähnt und die Highways hinauf-hinunter, die gelben Taxis von New York und das Elend ethnischer Minderheiten. Auch das böte sich an, die Sache für eine abrundende Publikation auszunutzen. Warum nicht?
     
    «Die Menschen da drüben freuen sich auf Sie», stand in dem Brief des Instituts, womit die Null-Komma-null-null-null-Prozent der amerikanischen Bevölkerung gemeint sein mochten, die überhaupt eine Ahnung davon hatten, daß es in Europa auch Schriftsteller gab. Oder einzelne Emigranten und Auswanderer, die ihre alte Heimat ganz anders in Erinnerung hatten, als sie in den neuesten Publikationen aus Frankfurt und München dargestellt wurde.
     
    Die Beleidigungsklage - weshalb hatte er sich auch hinreißen lassen, den sensiblen Brockes-Preisträger Fritz-Harry Mergenthaler einen Dünnbrettbohrer zu nennen? Den Gedanken daran würde er mitnehmen müssen hinüber, der war nicht abzuschütteln.
    Auch das wehe Gefühl in der Brust, das ihm manches Mal zu schaffen machte, und die gelegentlichen Schwindelanfälle würden ihn begleiten, Anwandlungen, die ihn sogar zwangen, sich an einer
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