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Hämoglobin (Jacks Gutenachtgeschichten) (German Edition)

Hämoglobin (Jacks Gutenachtgeschichten) (German Edition)

Titel: Hämoglobin (Jacks Gutenachtgeschichten) (German Edition)
Autoren: Torsten Sträter
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Der Kapitän war in seiner Kajüte und schrieb. Wir mussten ja noch ein Telegramm wegen des toten Pferdes schicken. Ich stand wie angewurzelt an Deck, über mir die Möwen, die in der Dunkelheit kreischten, und der Mann am Kai hob eine Hand, die … zu lang war. Viel zu lang. Sie war wie ein Krähenfuss mit zu vielen Gliedern, und ich fühlte e t was, dass ich noch immer nicht beschreiben kann, als ich diese Hand sah.«
    Diese Marlboro hatte er schnell vernichtet . W eggehechelt, als würde er an einem Wettbewerb der Schnellraucher teilnehmen.
    »Er kam nicht an Deck, und ich spazierte nicht runter. Aber er ging zum Bug und klopfte mit dieser grässlichen Hand ans Holz.«
     
    Wir waren nichts als zwei glühende Punkte im Halbdunkel eines kahlen, sauberen Zimmers mit zugezogenen Vorhängen; die Stimme eines alten Mannes, der redete, während ich zuhö r te; der Geruch verbrannten Tabaks und darunter der andere nach Putzmittel und Kunststoff. Und doch hatte ich das G e fühl, dass dieser Mann nicht einfach nur eine Geschichte zum Besten geben wollte: Er musste.
     
    »Der Mann sprach mich an, und einen Moment glaubte ich, es wäre einfach nicht genug Luft da; als würde der Strom meines Atems zu diesem fahlen, spindeldürren Mann herüberwehen, statt meine Lungen zu füllen«, fuhr er leise fort.
    ›Wohin fahrt ihr‹, fragte er mich.
    Seine Stimme war wie das zerriebene Glas einer Grablaterne, schmerzend und unheilvoll dunkel.
    Meine Stimmbänder brannten, als ich antwortete, wir würden uns im Morgengrauen nach Wismar einschiffen, falls wir nicht den Weg nach Tulcea fänden. Wir hatten nur ein totes Pferd für Tulcea, aber wir nahmen unsere Aufträge ernst.
    Er sah mich an. Seine Nasenflügel bebten unentwegt, während seine Lider starr waren; er blinzelte nicht, obwohl der Wind auch hier im Hafen eine tränentreibende Schärfe hatte.
    › Fein ‹ , sagte er dann, aber sein Lächeln entglitt furchtbar. Seine Lippen waren fleischlos und verzerrten sich, wie ich es noch niemals gesehen hatte; mir erschien es weniger wie Freundlic h keit als vielmehr wie die geübte Mimik einer Kreatur, die gern unter Menschen wandeln möchte und deswegen einige Kuns t stücke lernen muss.
    › Es ist nur eine einzelne Kiste ‹ , stieß er hervor. › Nach Wismar ist sehr gut. ‹
    Ich nickte und taumelte unter Deck, wobei ich gegen den Kap i tän prallte.
    Er fragte mich, was in mich gefahren sei, aber ich konnte nicht antworten.
    › Sie sind ja weiß wie die verdammte Wand ‹ , knurrte er, und ich dachte dumpf, dass niemand so weiß sein konnte wie der Fremde, der in diesem düsteren Hafen gegen unser Bug g e pocht hatte.
    Der Morgen brachte ein trübes Licht und leichten Regen, der aber nicht in der Lage war, die Alpträume der vergangenen Nacht aus meinen Poren zu waschen, obwohl er eisig war. Meine Träume waren vom Gestank untergehender Städte und einer Armee pelziger Leiber beherrscht worden – Millionen von ihnen.
    Ich rauchte meine zweite Zigarette und starrte aufs Wasser, als mich jemand forsch ansprach.
    Ich drehte mich um und blickte in das Gesicht eines Soldaten; sein Bart war steif und hoch gezwirbelt, seine Haltung kerze n gerade. Er lächelte und salutierte ironisch, als ich ihn ansah. Er fragte, wohin wir fahren würden.
    ›Nach Wismar‹, erwiderte ich. Der Kapitän hatte weder telegr a fieren noch den Weg nach Tulcea herausfinden können.
    ›Immerhin, immerhin‹, antwortete er. ›Wenn’s genehm ist, wü r de ich gern eine Passage buchen. ‹
    Jetzt musste ich lächeln . So, wie er das sagte, klang es, als wolle er auf der Queen Victoria reisen und nicht auf unserem öligen Transportkahn.
    Der Kapitän trat neben mich.
    ›Sicher. Kommen Sie an Bord. Soldaten sind uns stets wil l kommen!‹
    Ich denke, unser Kapitän wollte damit sagen: Leute, die Sold beziehen und zahlen können, sind uns stets willkommen.
    Diesmal erntete der Kapitän diesen kleinen, ironischen Gruß und dann pochten die genagelten Stiefel des Soldaten auf den Bohlen des Schiffs.
    ›Bin etwas unpässlich, deswegen geht’s heim‹, sagte der Soldat und zeigte eine bandagierte Hand. ›Gestatten? Ernst Gollek, Leutnant der Reitergarde, viertes Regiment. Schönes Schiff.‹
    Ich konnte nicht anders und brach in schallendes Gelächter aus.«
     
    Mein Blick auf die Uhr zeigte, dass es auf Mittag zuging; Pfl e geheim-Mittag; Püree und Erbsen-Mittag.
    Aber der alte Mann winkte ab, als er meinen Ausdruck leichter Sorge sah.
    »Sie bringen
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