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Hämoglobin (Jacks Gutenachtgeschichten) (German Edition)

Hämoglobin (Jacks Gutenachtgeschichten) (German Edition)

Titel: Hämoglobin (Jacks Gutenachtgeschichten) (German Edition)
Autoren: Torsten Sträter
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was Knocke an die Muster alter Tapeten denken ließ – dann schrie er schockiert in den brausenden Fahrtwind.
    Er sah, dass sie weinte : M ilchig-zähe Tropfen einer toten Kö r perflüssigkeit rannen träge ihre Wangen hinab, und dann öffn e te sie den Mund und schrie ebenfalls.
    Knocke fummelte fahrig am Radio herum, unfähig, klar zu denken.
    Er schien nichts als ein überhitzter Resonanzkörper für sein wummerndes Herz zu sein, dessen Rhythmus er bis in die Zähne spürte.
    Knocke versuchte erneut, die Augen zu Schlitzen zu verengen, aber diesmal führte das zu einem dröhnenden Schmerz hinter der Stirn.
    Er musste den Ton abdrehen, Ruhe haben. Sein Herz schlug Kapriolen, und er vermutete, es unter der Haut pochen zu s e hen, wenn er sein Hemd aufriss.
    Dann hörte er den Gesang.
    Es war wunderschön, zugleich aber schneidend schmerzhaft im Ohr; eine sirenenartige Symphonie auf- und abschwellender Schluchzer . T rotzdem meinte Knocke, nach einigen Sekunden beklommenen Lauschens , darin eine unterschwellige Freude zu hören.
    Er kam aus dem hinteren Teil des Autos, vom einzig kühlen Platz.
     
    Er drehte das Radio wieder laut.
    »Ich werde wahnsinnig«, sagte er in den Wind, dann, etwas gefasster: »Es ist zu heiß.«
    Hinter dem Cabrio der Frau fuhr nun ein weiteres Fahrzeug, bemerkte er aus den Augenwinkeln. Er ignorierte das Pulsen in seinem Kopf und schaute hin.
    Ein japanischer Familienvan mit passender Füllung: V orn s a ßen Mami und Papi, hinten zwei Kinder. Das Alter der Kleinen war schwer zu schätzen; sie waren völlig verkohlt, und ihre Augen schauten neugierig durch die geborstene Scheibe zu Knocke herüber – vier blutige Löcher, in denen babyblaue Pupillen schwammen.
    »Gewichtsverlust durch E rhitzen«, kam es aus seinem Mund, und er spürte etwas, das er gern als Muskelkrampf im Hirn angesehen hätte, aber der unverkrampfte Teil seines Denkens sagte, dass es so etwas nicht gibt.
    Der Verkehr war langsamer geworden. Er fühlte es mehr, als dass er es sah.
     
    Knocke versuchte durchzuatmen, tief, um den Kopf zu klären, aber die Luft war wie Sirup.
    Rex Gildos ungebrochen gut gelaunte Stimme begann durch die Fahrerkabine zu spuken, und Knocke stellte das Radio so hektisch ab, als wäre es ein Zeitzünder.
    Auf beiden Seiten seines alten Caddys schoben sich nun Autos in sein Sichtfeld: ein SLK mit einer Gruppe lächelnder, zerfet z ter Araber, deren Fahrer eine zerbrochene Ray Ban trug und dessen Hemd wie ein Lätzchen mit braunroten Klumpen b e schmiert war; ein Transporter mit einer Eierlikör-Reklame auf der Seite, in desse n Inneren ein Mann hockte, etwas in der Hand, das wie ein geschmolzenes Handy aussah. Er schaute starr nach vorn und war fahl wie eine Made; dann ein Taxi, Typ und Farbe nach aus den Sechzigern. Hinter dem Steuer des Benz saß kein Mensch: es war nur ein Gewimmel verrotteten Fleisches und emsiger Organismen, die ihre Arbeit schon au f genommen haben mussten, als Illja Richter noch Disco mod e riert hatte.
    Das Ding hob eine Hand – ein en moosbesetzte n Stumpf, aus dem Fragmente bleichen Gebeins ragten – und winkte.
    Und in der Finsternis der Kühlboxen sang das Blut.
     
    Knocke zwang sich, weg zu sehen.
    Als er stattdessen an sich herabsah, blieb sein Blick an seinen Beinen hängen, die dürr aus den Shorts ragten. Sie w a ren käsig, aber mit ungesund aussehenden, rötlichblauen Quaddeln übe r säht.
    »Scheiße«, flüsterte er. »Verdammte Scheiße.«
    Er schaltete das Radio wieder ein, eine beruhigend normale Sache . E s musste doch möglich sein, klar zu werden. Bata Illic. Trotzdem , o kay.
    Seine Gedanken formten sich so stockend, als würde ein Fün f jähriger Schreibmaschine schreiben.
    Knocke war nun sicher, einen Sonnenstich zu haben: er musste an den Seitenstreifen, in den Schatten und etwas trinken. Er benötigte Flüssigkeit, sonst ging er vielleicht drauf.
    Seine Hand fischte unter dem Sitz nach der Cola von gestern.
    Zuckerwasser wäre jetzt gut. So gut. Warm, die Brühe? Keine Kohlensäure?
    »Scheißt der Hund drauf«, knurrte er, die eigene Panik , so gut es ging, ignorie rend .
    Das Singen schwoll an, als hätte seine kurzzeitig zurückgewo n nene Entschlossenheit es dazu ermutigt. Knocke langte nach hinten und schlug seine triefende Faust auf den Deckel der Box, ein dumpfes Geräusch, das nichts bewirkte, außer ihm eines klarzumachen: W enn er schon begann, auf Kühlboxen einzudreschen, war da auch was. Da war was.
     
    Randstreifen.
    Er
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