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Die Akte ODESSA: Thriller (German Edition)

Die Akte ODESSA: Thriller (German Edition)

Titel: Die Akte ODESSA: Thriller (German Edition)
Autoren: Frederick Forsyth
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Kapitel 1
    Fast jeder weiß noch, was er gerade in dem Augenblick tat, als ihn die Nachricht von Präsident Kennedys Ermordung erreichte. Das tödliche Geschoß hatte den Präsidenten um 12   Uhr   22 (Dallas Ortszeit) getroffen. Die Meldung von seinem Tode wurde um 13   Uhr   30 veröffentlicht. Das war 14   Uhr   30 in New York, 19   Uhr   30 in London und 20   Uhr   30 in Hamburg. Peter Miller hatte seine Mutter in Osdorf, einem Vorort von Hamburg besucht, und fuhr durch den von Böen gepeitschten Regen in die Stadt zurück. Er besuchte sie immer Freitag abends, um sich zu vergewissern, ob sie auch mit allem versorgt war, was sie über das Wochenende brauchte, und weil er sich ohnehin verpflichtet fühlte, sie einmal die Woche zu sehen. Er hätte sie lieber angerufen, aber sie hatte kein Telefon; also mußte er zu ihr hinausfahren. Und genau das war natürlich der Grund, weswegen seine Mutter kein Telefon haben wollte.
    Wie üblich hatte Miller das Radio eingeschaltet und hörte Musik vom NDR. Um 20   Uhr   30 befand er sich in Osdorf, zehn Minuten von der Wohnung seiner Mutter entfernt, als die Musik mitten im Takt abbrach und die Stimme des Ansagers sich meldete:
    »Achtung, Achtung! Soeben erreicht uns eine Meldung. Präsident Kennedy ist tot. Ich wiederhole: Präsident Kennedy ist tot.«
    Miller nahm den Blick von der Straße und sah auf die schwacherleuchtete Skala des Autoradios, als könnten seine Augen widerlegen, was seine Ohren gehört hatten, einen Sender, der Unsinn verbreitete.
    »Mein Gott«, murmelte er, bremste und steuerte an den Straßenrand. Er blickte die breite, gerade Schnellstraße entlang, die durch Altona zur Hamburger Innenstadt führte. Andere Fahrer hatten dieselbe Meldung gehört und hielten ebenfalls am Straßenrand, als seien Autofahren und Radiohören auf einmal Dinge, die einander ausschlossen. Und genauso war es.
    Vor sich sah er die Bremslichter der stadteinwärts fahrenden Wagen aufleuchten. Die Fahrer fuhren an die Bordsteinkante, um weitere Nachrichten nicht zu versäumen. Auf der Gegenfahrbahn strichen die Scheinwerfer stadtauswärts fahrender Wagen unruhig über den Asphalt, auch dort steuerten die Fahrer an den Straßenrand. Zwei Wagen überholten Miller, der Fahrer des ersten hupte wütend und tippte sich demonstrativ mit dem Zeigefinger an die Stirn.
    Er wird es schon noch früh genug erfahren, dachte Miller.
    Die Unterhaltungsmusik hatte aufgehört. Aus dem Radio kam der erstbeste Trauermarsch, den man zur Hand hatte. In gewissen Abständen verlas der Sprecher Bruchstücke weiterer Informationen, die ihm aus dem Nachrichtenraum überbracht wurden, so wie sie aus dem Fernschreiber kamen. Aus den Einzelheiten wurde langsam ein Bild: die Fahrt im offenen Wagen durch die Straßen von Dallas, der Scharfschütze im Fenster des Schulbuchlagers. Von der Festnahme verdächtiger Personen war vorerst noch nicht die Rede.
    Vor Miller hatte ein anderes Auto gehalten. Der Fahrer stieg aus und ging auf Millers Wagen zu. Er trat an das linke Wagenfenster, stellte fest, daß sich der Fahrersitz auf der rechten Seite befand, und ging um den Wagen herum. Er trug eine Joppe mit einem Kragen aus Nylonpelz. Miller drehte das Wagenfenster hinunter.
    »Haben Sie das gehört?« fragte der Mann und beugte sich zum Fenster herab.
    »Ja«, sagte Miller.
    »Entsetzlich«, sagte der Mann. Überall in Hamburg, in Europa, in der ganzen Welt sprechen fremde Menschen einander an, um über das Ereignis zu reden.
    »Glauben Sie, daß es die Kommunisten waren?« fragte der Mann.
    »Weiß ich nicht.«
    »Wenn sie es waren, kann das Krieg bedeuten«, sagte der Mann.
    »Schon möglich«, sagte Miller. Als Reporter konnte er sich unschwer das Chaos vorstellen, das jetzt überall in den Leitungsredaktionen der Bundesrepublik ausbrach. Alle verfügbaren Leute würde man zusammentrommeln, um den Lesern die auf den allerletzten Stand gebrachte Morgenausgabe rechtzeitig zum Frühstück zu liefern. Man mußte Nachrufe verfassen, aus den laufend eingehenden Informationen zusammenhängende Berichte schreiben und in die Setzmaschine geben. Schreiende, schwitzende Männer würden auf der Jagd nach immer mehr Einzelheiten sämtliche Telefonleitungen blockieren, weil in einer Stadt in Texas ein Mann mit durchschossener Kehle auf einer Bahre lag.
    In mancher Hinsicht wünschte sich Miller wieder in die Redaktion einer Tageszeitung zurück, aber in den drei Jahren, in denen er inzwischen als freier Journalist
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