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Hämoglobin (Jacks Gutenachtgeschichten) (German Edition)

Hämoglobin (Jacks Gutenachtgeschichten) (German Edition)

Titel: Hämoglobin (Jacks Gutenachtgeschichten) (German Edition)
Autoren: Torsten Sträter
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sein?
    Wann wird der erste Tiger oder ein Pumamann meine G e sichtshaut mit seiner rauen Zunge berühren, Sekunden, bevor er sie abschält?
    Wann wird mein Antlitz ausgelöscht?
    Wann endet meine Identität im Magen einer Bestie?
    Ich schrie das Monstrum an, fürchte ich. Alle Schutzmech a nismen in meinem Bewusstsein schlugen ein »Entschuldigung – ich habe gerade zu tun« vor, aber der Teil, der für die Panik zuständig ist, formulierte einen hysterischen, speichelspritze n den Schrei.
    Zwanzig Minuten später hatte ich mich z uhause eingeschlo s sen.
    Ich durchnässte weinend den Kragen meines Hemdes, wä h rend mein Hosenbein langsam trocknete.
     
    Fluvoxamin löst Hitzeschübe aus.
    Ich schwitze seit Stunden wie ein Schwein, während ich da r über nachdenke, was zu tun ist.
    Wenn es so weiter geht, frisst die Angst mich schneller als i r gendein Löwenmännchen – oder Weibchen. Ich höre unablä s sig die Kaugeräusche der Angst, wie sie sich durch meinen gesunden Menschenverstand frisst: E in zähes Reißen , unte r brochen vom mahlendem Reiben stumpfer Zähne, an denen Fetzen meiner Selbstbeherrschung kleben.
    Wie es wohl ist , tot zu sein?
    Fluvoxamin hat noch eine interessante Nebenwirkung: Man sabbert, wenn die Einnahmeintervalle zu kurz sind.
    Ständig läuft mir klarer Speichel aus den Mundwinkeln, so dass ich mich kaum zu sprechen traue.
    Zwar versuche ich, mit niemandem zu reden, aber es ist nicht schön, seiner Haushaltshilfe mit dem Taschentuch vor dem Mund Anweisungen zu geben.
    Wenn ich mich zurücklehne und die Augen schließe, ist es, als würde ich in einen Abgrund stürzen. Aber es fühlt sich gut an, und das macht mir Angst.
     
    Bin seit achtundzwanzig Tagen unter Raubtieren.
    Die Fee ist von der Walküre zu einer Furie mutiert: Chlom i pramin, Maprotilin, Morphin. Ich bin ständig auf Draht. Ber u higend, wenn man gute Kontakte hat.
    Freunde – vor allem welche, die normale Gesichter haben – sind so wichtig.
    Gestern Nacht habe ich festgestellt, dass ich mich nass g e macht habe, während ich schlief.
    Ich habe von einer Dompteursnummer geträumt, die schrec k lich schief ging.
    Meine Augen haben Ringe – und unten auf der Straße warten die Bestien. Es ist alles zu viel.
    Ich habe einen Entschluss gefasst: Wenn es schon unvermei d lich ist, Beute zu werden, werde ich diese Welt nicht allein ve r lassen. Ich werde ein paar mitnehmen – alle werde ich kaum schaffen.
    Es sind unermesslich viele geworden.
     
    Ich habe versucht, ein Gewehr zu kaufen, aber trotz meines erstklassigen Leumunds ist mir das nicht gelungen; ich benötige eine Waffenbesitzkarte. Die entschlossene, aber dezent gelan g weilte Stimme des fetten Verkäufers führte dazu, dass ich mir den Kauf einer doppelläufigen Flinte augenblicklich aus dem Kopf schlug – aber nicht mal diesen stupsnasigen Trommelr e volver wollte er mir verkaufen.
    Ich bot ihm tausend Euro, und ich war ziemlich hündisch d a bei. Aber mit einem Blick auf mein schweißnasses Gesicht griff er zum Telefon, ohne die Banknoten anzusehen.
    Wieder einmal Flucht.
     
    Warum sind einige Leute völlig normal, andere Bestien?
    Mein Bruder, der mich Sonntag besuchte, war wie immer ne r vig in seinem Bemühen, mich zu beleihen, aber definitiv menschlich.
    Meine Zugehfrau ebenso: P enibel, verwelkt, menschlich.
    Mein Nachbar hingegen zeigte das struppige Haupt von etwas, das entfernt an einen feisten Jaguar erinnerte.
    Ich sah ihn an der Grenze zu unserem Garten herum stromern, während ich mir am Küchentisch Morphin injizierte. Mit der Gruppe der Neuroleptika und Antidepressiva bin ich durch, nichts zu machen. Scheiß auf die Depotwirkung – ich brauche jetzt Hilfe, verflucht.
    Als er mich sah, hob er seine Tatze.
    In meinem Bemühen, das Fenster zu verdunkeln, riss ich die Jalousien von der Wand, die Kanüle noch im Arm.
    Ich erwachte auf dem Fußboden, halb zugedeckt von zwei Meter Rattangeflecht.
    Mein Kopf fühlte sich an, als sei er voller Scherben.
    Das ist mein letzter Tag als Beute, schwor ich mir, und der Gedanke löste ein pochendes Echo aus.
    Drau ß en scheinen Wölfe zu heulen – eine neue Spezies mit dem gleichen Ziel.
    Sie sind nah.
     
    Montag morgen.
    Eine letzte Injektion.
    Ich weigere mich, »Schuss« zu sagen . I ch bin kein Junkie, so n dern ein Mann in verzweifelter Lage.
    Allerdings habe ich eine Lösung für mein Problem gefunden.
    Das Medikament beginnt zu wirken … I n Ordnung, das Heroin beginnt zu wirken.
    Mein Schrank
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