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Guten Abend, Gute Nacht

Guten Abend, Gute Nacht

Titel: Guten Abend, Gute Nacht
Autoren: Jeremiah Healy
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Briefkasten geschaut hatte, also ging ich zurück ins Foyer. Wieder nichts. Nicht viele meiner Freunde konnten schreiben, und für die übliche »Sie haben gewonnen«-Scheiße wohnte ich noch nicht lange genug hier.
    Ich ging wieder nach oben, zog mich aus und duschte. Ich las die Times zu Ende und beschloß, mich aufs Ohr zu hauen. Mein Blick wanderte noch mehrere Male zum Telefon, während ich an Nancy dachte, dann schlief ich ein.
     

DREI
     
     
     
    Um sieben Uhr riß mich der Wecker aus dem Schlaf. Ich zog Turnschuhe, Shorts und ein T-Shirt aus einem Laden für Army-Klamotten auf der Boylston Street an. Das Hemd hatte ein kleines »USA« über der linken Brust. In dem Regal hatte es direkt neben einem gelegen, auf dem ein Totenkopf mit einem grünen Barett über der Aufschrift LEG SIE ALLE UM — SOLL GOTT SIE SORTIEREN abgebildet war. Ich entschied mich für die USA.
    Etwa zehn Minuten machte ich Lockerungsübungen, dann joggte ich über die Fairfield Street-Brücke zum Charles River. Dort hielt ich mich links und flußaufwärts Richtung Boston University Bridge. Ich kam an einem Kormoran vorbei, der tief im Wasser schwamm; der Kopf mit dem schwarzen Schnabel und der lange Hals wie ein lebendiges Periskop auf der Wasseroberfläche. An der Brücke machte ich kehrt, steigerte mein Tempo um etwa dreißig Sekunden pro Meile. Eine sechzigjährige Frau zischte an mir vorbei, als stünde ich still. Auf ihrem T-Shirt stand GROSSMÜTTER MACHEN’S SCHON LÄNGER.
    Ich erreichte Community Boating, den städtischen Ruderverein, im Schatten der Charles Street-Brücke. Nach meiner Entlassung aus der Army hatte ich dort segeln gelernt. Die Mitgliedschaft für sechs Monate kostete ungefähr fünfzig Dollar. Sie stellten die Boote und übernahmen die Wartung, und erfahrenere Mitglieder brachten einem das Auftakeln bei. Das war ein gutes Geschäft. Nachdem Beth krank geworden war, kam ich davon ab; die einzigen Segelboote, die ich jetzt noch bemerkte, glitten unterhalb von ihrem Grab durch den Hafen. Wieder machte ich kehrt und vergrößerte meine Schritte, für acht Schritte atmete ich zweimal kurz und einmal lang. An der Dartmouth Street-Brücke blieb ich stehen, ließ es bei einem Vier-Meilen-Lauf bewenden. Auf der Newbury Street kaufte ich mir zum Frühstück ein paar frische Muffins und Orangensaft.
    Zurück in der Wohnung wartete ich einen Moment, um mich abzukühlen, duschte dann und frühstückte. Auf der Küchenuhr war es halb neun. Ich wählte die Nummer von Williams Anwalt und bekam eine schroffe weibliche Stimme an die Strippe, die mich davon in Kenntnis setzte, daß die Kanzlei nicht vor neun Uhr öffnete. Sie bestätigte mir allerdings, daß Rothenberg an diesem Morgen im Büro sein würde, bevor er in Cambridge Gerichtstermine wahrnehmen mußte. Nachdem ich mich einigermaßen ordentlich angezogen hatte, ging ich die Boylston zu Fuß die acht Blocks zu Rothenbergs Kanzlei hinunter, die nur zwei Türen weiter als das Gebäude der alten Mass Defenders lag.
     
    An der Tür zu Rothenbergs Etage stand lediglich ANWALTSKANZLEI mit einem Dutzend Namen auf einzelnen, völlig unterschiedlichen Holzschildern darunter. Was wahrscheinlich bedeutete, daß er die Räumlichkeiten, nicht aber die Honorare mit den anderen elf Anwälten teilte. Ich betrat ein Wartezimmer mit einer bunten Mischung von Mandanten. Die Pflichtverteidiger, heute das Office of Public Counsel Services, bekamen natürlich die guten Armen und die bösen Armen. Alle, die auf einer etwas höheren Einkommenssprosse standen, mußten irgendwie das Geld für einen privaten Anwalt zusammenkratzen. Daher bekamen Anwälte wie Rothenberg für gewöhnlich die guten Nicht-ganz-so-Armen und die bösen Nicht-ganz-so-Armen.
    Ich nannte der Empfangsdame Name, Beruf und den Grund meines Hierseins. Zehn Minuten später kriegte sie einen Anruf, rief meinen Namen aus und wies mich einen Korridor hinunter. Das alles während sie gleichzeitig versuchte, eine lebhafte Frau, die wie ein Maschinengewehr auf Spanisch auf sie einredete, dazu zu bewegen, etwas langsamer zu sprechen.
    Ich war den Korridor halb hinunter, als ein schütter werdendes Haupt aus einer Tür guckte. »John Cuddy?«
    »Richtig.«
    Er winkte mich herein.
    Sein Büro war vollgestopft und schäbig, gehörte ihm aber anscheinend allein. Wir schüttelten uns die Hand.
    »Steve Rothenberg.« Mit der freien Hand deutete er auf einen Stuhl. Er ließ sich in einen ramponierten ledernen Schreibtischsessel fallen und
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