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Lieben: Roman (German Edition)

Lieben: Roman (German Edition)

Titel: Lieben: Roman (German Edition)
Autoren: Karl Ove Knausgård
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29. Juli 2008
    DER SOMMER IST LANG GEWESEN, und er ist noch nicht vorbei. Am 26. Juni beendete ich den ersten Band meiner Romanreihe und seither, mehr als einen Monat, sind Vanja und Heidi nicht mehr im Kindergarten gewesen, was einen intensiveren Alltag zur Folge hat. Es hat sich mir niemals erschlossen, welchen Sinn Urlaube haben sollen, und ich selbst habe nie das Bedürfnis nach einem verspürt, immer nur Lust gehabt weiterzuarbeiten. Aber wenn ich muss, dann muss ich eben. Die erste Woche wollten wir eigentlich in unserer Schrebergartenlaube verbringen, die wir auf Lindas Wunsch hin im vorigen Herbst als Ort zum Schreiben und als Wochenendhäuschen gekauft haben, aber nach drei Tagen gaben wir auf und zogen wieder in die Stadt. Drei kleine Kinder und zwei Erwachsene auf einer kleinen Fläche, umgeben von anderen Menschen, ohne dass es etwas anderes zu tun gäbe, als Unkraut zu jäten und Rasen zu mähen, ist keine gute Idee, vor allem, wenn die Stimmung bereits vorher nicht sonderlich harmonisch war. Wir stritten uns da draußen, vermutlich zum Amüsement unserer Nachbarn, mehrfach lautstark, und die mehreren hundert säuberlich gepflegten Gärten mit all diesen alten, halbnackten Menschen machten mich vor lauter Klaustrophobie recht reizbar. Stimmungen dieser Art werden von Kindern blitzschnell wahrgenommen und ausgespielt, vor allem von Vanja, die unmittelbar auf veränderte Tonlagen und intensivere Gefühle reagiert, und läuft die Sache dann aus
dem Ruder, tut sie die Dinge, die wir, wie sie ganz genau weiß, am wenigsten ausstehen können und uns zum Äußersten treiben, wenn sie lange genug weitermacht. Wenn man vor lauter Frustration fast platzt, ist es fast unmöglich, dagegen anzukämpfen, und schon geht es los, Gebrüll und Geschrei und Elend. In der folgenden Woche mieteten wir ein Auto und fuhren auf die Insel Tjörn nördlich von Göteborg, da Lindas Freundin Mikaela, die Vanjas Patentante ist, uns in das Sommerhaus ihres Lebensgefährten eingeladen hatte. Wir fragten sie, ob ihr auch klar sei, wie es mit drei Kindern zugehen würde, und ob sie wirklich sicher sei, dass sie uns dort haben wolle, aber ja, das sei sie, erklärte sie, sie könne mit den Kindern backen, hatte sie sich überlegt, und mit ihnen schwimmen gehen und Krabben angeln, damit wir ein bisschen Zeit für uns haben würden. Letzteres ließ uns anbeißen. Nach Tjörn und bis vor das Sommerhaus fuhren wir, am äußeren Rand dieser eigentümlich südnorwegisch anmutenden Landschaft parkten wir, hinein wälzten wir uns mit allen Kindern und Sack und Pack. Eigentlich hatten wir vorgehabt, die ganze Woche zu bleiben, aber schon drei Tage später packten wir alles wieder ins Auto und nahmen zu Mikaelas und Eriks unverhohlener Erleichterung erneut Kurs Richtung Süden.
    Menschen, die selber keine Kinder haben, begreifen nur selten, was dies bedeutet, ganz gleich, wie reif und intelligent sie ansonsten sein mögen, zumindest traf das auf mich zu, bevor ich selber Vater wurde. Mikaela und Erik leben für ihre Karrieren; solange ich Mikaela kenne, hat sie immer irgendwelche führenden Positionen im Kulturleben bekleidet, während Erik Geschäftsführer irgendeiner weltweit agierenden Stiftung mit Sitz in Schweden ist. Nach dem Aufenthalt auf Tjörn musste er zu einer Sitzung in Panama fahren, ehe sie ihren Urlaub in der Provence fortsetzen würden, denn so verläuft ihr Leben, Orte, von denen ich nur gelesen habe, stehen
ihnen offen. In dieses Leben platzten wir mit unseren feuchten Tüchern und Windeln und John, der überall herumkrabbelt, Heidi und Vanja, die sich streiten und schreien, lachen und weinen, die niemals am Tisch essen, die niemals tun, was wir sagen, jedenfalls nicht, wenn wir bei anderen Leuten sind und wirklich wollen , dass sie sich benehmen, denn das merken sie, und je mehr für uns auf dem Spiel steht, desto wilder werden sie, und obwohl das Sommerhaus groß und geräumig wirkte, war es doch nicht so groß und geräumig, dass sie zu übersehen gewesen wären. Erik tat so, als könnte ihm in seinem Haus nichts Furcht einflößen, er wollte sich gerne großzügig und kinderfreundlich zeigen, aber seine Körpersprache sagte kontinuierlich etwas anderes, diese eng an den Körper gepressten Arme, seine Art, ständig Sachen an ihren richtigen Platz zu legen, und die große Distanz in seinem Blick. Den Dingen und dem Ort, die er sein Leben lang gekannt hatte, war er nah, fern dagegen denen, die es in diesen Tagen bevölkerten,
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