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Lieben: Roman (German Edition)

Lieben: Roman (German Edition)

Titel: Lieben: Roman (German Edition)
Autoren: Karl Ove Knausgård
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Balken und Bretterwände mit einem Netz dazwischen, ein Bungee-Jumping-Gerüst und eine Eselreitbahn, bei der wir Halt machten. Linda nahm Heidi, trug sie zur Warteschlange und setzte ihr einen Helm auf, während Vanja und ich mit John am Zaun stehen blieben und zusahen.
    Jeweils vier Esel liefen geführt von den Eltern. Die Strecke war nicht länger als dreißig Meter, aber die meisten benötigten relativ lange, um sie zu gehen, denn hier handelte es sich um Esel, nicht um Ponys, und Esel bleiben stehen, wenn ihnen danach ist. Verzweifelte Eltern zogen möglichst fest an den Zügeln, ohne dass sich die Tiere von der Stelle rührten. Sie klopften ihnen auf die Seite, ohne dass es etwas nutzte, die Esel blieben trotzdem stehen. Eines der Kinder weinte. Die
ganze Zeit über rief die Frau, der man die Chips übergab, den Eltern Ratschläge zu. Ziehen Sie, so fest Sie können! Fester! Einfach ziehen, das macht denen nichts aus. Fest! So ist es gut!
    »Schau mal, Vanja«, sagte ich. »Die Esel wollen nicht laufen!«
    Sie lachte. Ich freute mich, weil sie sich freute. Gleichzeitig machte ich mir ein wenig Sorgen, wie es Linda ergehen würde; sie hatte kaum mehr Geduld als Vanja. Als die beiden an der Reihe waren, löste sie die Aufgabe jedoch mit Bravour. Wenn der Esel stoppte, drehte sie sich jedes Mal um, stand mit dem Rücken zur Flanke des Tiers und machte mit dem Mund Schnalzlaute. Sie war in ihrer Kindheit geritten, Pferde hatten in ihrem Leben lange im Mittelpunkt gestanden, das musste der Grund sein.
    Heidi strahlte auf dem Rücken des Tiers. Als sich der Esel von ihrem Trick nicht mehr täuschen ließ, zog Linda so fest und entschlossen am Zaumzeug, dass er keinerlei Spielraum für seine Bockigkeit bekam.
    »Du reitest ganz toll!«, rief ich Heidi zu und sah zu Vanja hinunter. »Möchtest du auch?«
    Vanja schüttelte verbissen den Kopf und rückte ihre Brille gerade. Seit sie anderthalb war, hatte sie auf Ponys geritten, und in dem Herbst, in dem wir nach Malmö umzogen und sie zweieinhalb war, begann sie in einer Reitschule. Sie lag mitten im Volksgarten, eine triste und heruntergekommene Reithalle mit Sägespänen auf dem Boden, die für sie ein Abenteuer war, sie saugte alles in sich auf und wollte davon erzählen, wenn es vorbei war. Mit geradem Rücken saß sie auf ihrem struppigen Pony und wurde von Linda immer wieder im Kreis geführt, oder, wenn ich alleine mit ihr hinging, von einem der elf- oder zwölfjährigen Mädchen, die dort ihr ganzes Leben zu verbringen schienen, während eine Reitlehrerin in der Mitte die Runde machte und ihnen erklärte, was sie tun sollten.
Dass Vanja ihre Anweisungen nicht immer verstand, war nicht weiter schlimm, wichtig waren vielmehr das Erlebnis mit den Pferden und die Atmosphäre, die sie umgab. Der Stall, die Katze, die im Heu Junge bekommen hatte, die Liste, wer an diesem Nachmittag welches Pferd reiten würde, der Helm, den sie sich aussuchte, der Augenblick, in dem das Pferd zur Halle geführt werden sollte, das Reiten selbst, Gebäck und Apfelsaft, die sie hinterher im Café bekam. Es war der Höhepunkt der Woche. Im Laufe des folgenden Herbsts änderte sich dies jedoch. Die Kinder bekamen eine neue Lehrerin, und Vanja, die älter aussah als ihre knapp vier Jahre, wurde mit Anforderungen konfrontiert, denen sie nicht gewachsen war. Obwohl Linda Bescheid sagte, hörte es nicht auf. Vanja begann zu protestieren, wenn sie hin sollte, sie wollte nicht, auf gar keinen Fall, und schließlich machten wir der Sache ein Ende. Selbst als sie Heidi auf der kleinen Eselstour durch den Park sah, wo nichts gefordert wurde, wollte sie nicht.
    Wir hatten noch etwas angefangen, eine Singstunde, in der die Kinder zusammen sangen, aber auch zeichneten und puzzelten. Als sie zum zweiten Mal dort war, sollten sie ein Haus zeichnen, und Vanja hatte das Gras davor blau gemalt. Die Gruppenleiterin war zu ihr gegangen und hatte gesagt, Gras sei grün, nicht blau, konnte sie ein neues Bild malen? Vanja hatte ihre Zeichnung zerfetzt und so trotzig reagiert, dass die anderen Eltern die Augenbrauen hoben und froh über ihre eigenen wohlerzogenen Kinder waren. Vanja ist so vieles, in erster Linie aber scheu, und dass sich dies schon jetzt verfestigt, beunruhigt mich. Ihre Kindheit zu begleiten, verändert auch das Bild meiner eigenen Kindheit, nicht so sehr wegen der Qualität, sondern wegen der Quantität, der vielen Zeit, die man mit seinen Kindern verbringt, die schier unermesslich lang ist.
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