Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lieben: Roman (German Edition)

Lieben: Roman (German Edition)

Titel: Lieben: Roman (German Edition)
Autoren: Karl Ove Knausgård
Vom Netzwerk:
lauteten, sie wolle nicht in den Kindergarten, wobei sie ab und zu weinte, hielt ich nur für eine Übergangsphase, natürlich würde es ihr dort mit der Zeit gefallen. Wenn wir ankamen, wollte sie allerdings nicht von meinem Schoß, egal, womit die drei jungen Frauen, die dort als Erzieherinnen arbeiteten, lockten. Ich fand, dass man sie am besten einfach abgeben, weggehen und alleine mit der Situation zurechtkommen lassen sollte, aber von einer solchen Brutalität wollten weder die Erzieherinnen noch Linda etwas wissen, und so saß ich dann mit Vanja auf dem Schoß und umgeben von spielenden Kindern auf einem Stuhl in der Zimmerecke, während das Sonnenlicht, das nach und nach herbstlicher wurde, je mehr Tage vergingen, hereinströmte. Bei der Zwischenmahlzeit im Freien, die aus Apfel- und Birnenschnitzen bestand, die von den Erzieherinnen verteilt wurden, ließ sie sich nur darauf ein, sich hinzusetzen, wenn es in zehn Meter
Entfernung zu den anderen geschah, und wenn wir dies taten, ich mit einem entschuldigenden Lächeln auf den Lippen, geschah es nicht ohne Verwunderung, denn das war doch meine Art, mich anderen Menschen gegenüber zu verhalten: Wie war es ihr im Alter von zweieinhalb Jahren gelungen, das in sich aufzunehmen? Natürlich schafften die Erzieherinnen es schließlich doch, sie von mir fortzulocken, woraufhin ich davonradeln durfte, um ein wenig zu schreiben, während sie hinter mir herzzerreißend weinte, und als ein Monat verstrichen war, brachte und holte ich sie ganz normal. Trotzdem kam es immer noch vor, dass sie am Morgen erklärte, sie wolle nicht, trotzdem weinte sie immer noch manchmal, und als ein anderer Kindergarten in der Nähe unserer Wohnung anrief und sagte, es sei ein Platz frei geworden, zögerten wir nicht, das Angebot anzunehmen. Er hieß »Der Luchs« und war eine freie Elterninitiative. Das hieß konkret, dass alle Eltern zwei Wochen im Jahr Dienst schieben und darüber hinaus einen der zahlreichen administrativen und praktischen Posten bekleiden mussten. Wie weit sich dieser Kindergarten in unser Leben hineinfressen sollte, ahnten wir damals nicht, im Gegenteil, wir sprachen ausschließlich über die vielen Vorteile, die er zu bieten hatte: Durch die Dienste würden wir sämtliche Spielkameraden Vanjas kennen lernen und durch unsere Ehrenämter und die damit verbundenen Sitzungen deren Eltern. Es war üblich, dass die Kinder sich gegenseitig nach Hause begleiteten, so dass wir bald Entlastung bekommen würden, wenn wir sie brauchten. Außerdem, und das war das vielleicht wichtigste Argument, kannten wir niemanden in Malmö, keine Menschenseele, und dies erschien uns als eine unkomplizierte Art, Kontakte zu knüpfen. Was zutraf, denn schon nach zwei Wochen wurden wir zum Geburtstag eines Kindes eingeladen. Vanja freute sich riesig, nicht zuletzt, weil sie gerade ein Paar goldfarbene Sonntagsschuhe bekommen
hatte, die sie anziehen wollte, aber gleichzeitig wollte sie verständlicherweise auch nicht hingehen, da sie die anderen Kinder zu diesem Zeitpunkt noch nicht sonderlich gut kannte. Die Einladung lag an einem Freitagnachmittag in unserem Fach im Kindergarten. Die Feier sollte Samstag in einer Woche sein, und in dieser Woche erkundigte sich Vanja jeden Morgen, ob heute der Tag sei, an dem Stella ihren Geburtstag feiere. Als wir nein sagten, fragte Vanja, ob er übermorgen sein würde; was bei ihr in etwa dem Horizont der äußersten Zukunft entsprach. Als wir endlich nicken und sagen konnten, ja genau, heute würden wir zu Stella gehen, sprang sie aus dem Bett und lief zum Schrank, um ihre Goldschuhe anzuziehen. Zwei Mal in der Stunde fragte sie, ob es noch lange hin war, und es hätte ein unerträglicher Vormittag mit Drängeln und Trotzszenen werden können, aber zum Glück gab es genügend Dinge, mit denen er sich füllen ließ. Linda nahm sie in eine Buchhandlung mit, um ein Geschenk zu kaufen, und hinterher saßen die beiden am Küchentisch und malten die Geburtstagskarte, wir badeten die Kinder, kämmten ihnen die Haare und zogen ihnen weiße Strumpfhosen und ihre besten Kleider an. Dann kippte Vanjas Laune plötzlich, auf einmal wollte sie weder Strumpfhose noch Kleid anziehen, es kam überhaupt nicht in Frage, dass sie zu einem Fest gehen würde, und die Goldschuhe schmiss sie an die Wand, aber nachdem wir geduldig die wenigen Minuten abgewartet hatten, die ihr Gefühlsausbruch dauerte, gelang es uns, ihr alles anzuziehen, sogar den weißen Strickschal, den sie zu
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher