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Lieben: Roman (German Edition)

Lieben: Roman (German Edition)

Titel: Lieben: Roman (German Edition)
Autoren: Karl Ove Knausgård
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denn in der Stimmung, die momentan zwischen uns herrschte, hätte er alles nur noch schlimmer gemacht. Stattdessen hielten wir ein, zwei Stunden später spontan an einem billigen und zusammengewürfelten sogenannten »Märchenland«, in dem alles von schlechtester Qualität war, und gingen mit den Kindern als Erstes in einen kleinen »Zirkus«, der aus einem Hund bestand, der durch Reifen in Kniehöhe sprang, einer kräftigen, männlich aussehenden Dame, wahrscheinlich
irgendwo aus Osteuropa stammend, die in einem Bikini dieselben Reifen hochwarf und um die Hüften kreisen ließ, Kunststücke, die sämtliche Mädchen meiner Grundschulklasse bereits beherrscht hatten, und einem blonden Mann in meinem Alter mit Schnabelschuhen, Turban und Fettwulsten, die über die Haremshose quollen, der seinen Mund mit Benzin füllte und vier Mal Feuer zur niedrigen Decke hinauf spuckte. John und Heidi starrten sich fast die Augen aus dem Kopf. Vanja dachte dagegen nur an die Losbude, an der wir vorbeigekommen waren und bei der man ein Stofftier gewinnen konnte, zupfte ständig an mir und wollte wissen, wann die Vorstellung vorbei sein würde. Ab und zu schaute ich zu Linda hinüber. Sie hatte Heidi auf dem Schoß, ihr standen Tränen in den Augen. Als wir hinauskamen und abwärts zu dem kleinen Kirmesplatz gingen und beide einen Kinderwagen an einem Becken mit einer langen Wasserrutschbahn vorbeischoben, hinter deren höchstem Punkt ein riesiger, etwa dreißig Meter hoher Troll thronte, fragte ich sie nach dem Grund.
    »Ich weiß nicht«, antwortete sie, »aber der Zirkus rührt mich immer.«
    »Warum?«
    »Na ja, es ist doch so traurig, so wenig und so billig. Gleichzeitig aber auch so schön.«
    »Das auch?«
    »Ja. Hast du Heidi und John nicht gesehen? Sie waren wie hypnotisiert.«
    »Vanja aber nicht«, sagte ich und lächelte. Linda erwiderte mein Lächeln.
    »Was ist?«, wollte Vanja wissen und drehte sich um. »Was hast du gesagt, Papa?«
    »Ich habe nur gesagt, dass du im Zirkus nur an das Stofftier gedacht hast, das du unten gesehen hast.«
    Vanja lächelte auf jene für sie typische Art, wenn wir über
etwas sprachen, was sie getan hatte. Zufrieden, aber auch eifrig, bereit für mehr.
    »Was habe ich getan?«, sagte sie.
    »Du hast an meinem Arm gezupft«, antwortete ich. »Und mir gesagt, dass du jetzt Lose ziehen willst.«
    »Und warum?«, fragte sie.
    »Woher soll ich das wissen«, sagte ich. »Anscheinend hättest du gerne ein Kuscheltier.«
    »Machen wird das jetzt?«, sagte sie.
    »Ja«, antwortete ich. »Die Losbude ist da unten.«
    Ich zeigte den asphaltierten Fußweg zu den Karussellen hinunter, die man durch die Bäume hindurch vage erkennen konnte.
    »Darf Heidi auch?«, fragte sie.
    »Wenn sie möchte«, sagte Linda.
    »Natürlich möchte sie«, erklärte Vanja und beugte sich zu Heidi hinab, die im Wagen saß. »Möchtest du, Heidi?«
    »Ja«, antwortete Heidi.
    Wir mussten für neunzig Kronen Lose kaufen, bis jede der beiden ihre kleine Stoffmaus in der Hand hielt. Am Himmel über uns brannte die Sonne, die Luft im Wald stand, die allgegenwärtigen klingelnden und gellenden Töne der Spielautomaten vermischten sich mit der Discomusik aus den achtziger Jahren aus den Buden ringsum. Vanja wollte Zuckerwatte haben, so dass wir zehn Minuten später an einem Tisch neben einem Kiosk saßen, umschwirrt von aggressiven und aufdringlichen Wespen und im gleißenden Sonnenlicht, weshalb der Zucker an allem klebte, was er berührte, also an der Tischplatte, dem Wagenrücken, an Armen und Händen, und zwar zum lautstarken Ärger der Kinder, denn so hatten sie sich das nicht vorgestellt, als sie den Behälter mit dem schwirrenden Zucker im Kiosk gesehen hatten. Mein Kaffee war bitter, fast ungenießbar. Ein kleiner schmutziger Junge kam mit seinem
Dreirad auf uns zu, fuhr geradewegs gegen Heidis Wagen und sah uns erwartungsvoll an. Er hatte dunkle Haare und dunkle Augen, mochte rumänischer oder albanischer Abstammung sein, vielleicht auch griechischer. Nachdem er das Dreirad noch ein paar Mal gegen den Wagen gefahren hatte, stellte er sich so, dass wir nicht hinauskommen konnten, und blieb dort stehen, den Blick nun jedoch zu Boden gerichtet.
    »Sollen wir los?«, sagte ich.
    »Heidi wollte doch gerne reiten«, sagte Linda. »Können wir das nicht vorher noch machen?«
    Ein korpulenter Mann mit abstehenden Ohren, auch er dunkelhaarig, kam näher und hob den Jungen auf dem Dreirad hoch und trug ihn auf den Platz vor dem
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