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Guten Abend, Gute Nacht

Guten Abend, Gute Nacht

Titel: Guten Abend, Gute Nacht
Autoren: Jeremiah Healy
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EINS
     
     
     
    Ich trank einen Schluck von meinem Stroh’s und starrte die Rolle im Farbeimer an. Die Tür zum Flur und beide Fenster des Büros standen offen, doch der windstille Mainachmittag verhinderte, daß sich der Farbgeruch verzog. Ich trug ein rotes T-Shirt und die khakifarbenen Shorts, auf die ich letzte Woche Weinflecken gemacht hatte. Die Tischkante grub sich in meinen Hintern, und die Plastikfolie quietschte jedesmal, wenn ich hin und her rutschte, um eine bequemere Stellung zu finden. Der Vermieter hatte gesagt, bei einem Zwei-Jahres-Vertrag wäre die Miete vierhundert im Monat, dreihundertachtzig, wenn ich selbst renovierte. Mein altes Apartment-Büro war abgebrannt, und ich beschloß, daß es an der Zeit war, beides voneinander getrennt zu haben.
    Ich drehte mich um und genoß die Aussicht auf den Boston Common, unsere Antwort auf den Central Park. Dieser Ausblick hatte mich überzeugt, hier mein neues Büro einzurichten. An meiner Ecke des Common liegt die U-Bahnstation Park Street, ein menschliches Kaleidoskop. Am frühen Morgen ist es das übliche Rush-hour-Gedrängel: Anwälte und Banker in Anzügen, Sekretärinnen in Klamotten, die ein halbes Monatsgehalt kosten. Am späten Morgen kommen Lehrer und Eltern an der Spitze von Viertklässler-Exkursionen: Klappernde Pausenbrotdosen und flatternde Namensschildchen. Mittags picknicken junge Management-Trainees, Verkäufer und Verkäuferinnen mit Wurst-Sandwiches, frischem Obst oder Salaten auf dem Rasen, die sie von Straßenhändlern gekauft haben. Zu jeder Uhrzeit singen die Hare Krishnas, klimpern die nicht mehr ganz frischen Folk-Sänger, brüllen die Flüstertüten-Evangelisten ihre Mahnungen heraus. Nur die Penner sind still, liegen wie halb geöffnete menschliche Taschenmesser auf der Seite. Alles in allem ein Anblick, der einen geistig normal halten kann. Zumindest vergleichsweise.
    Ich trank einen weiteren Schluck Stroh ’s und fragte mich zum hundertstenmal, was wohl »feuergebraut« bedeutet. Mein Blick wanderte zu den halb gestrichenen Wänden und runter zu der Rolle und dem Eimer. Ich trank das Bier aus, ließ die Muskeln an meinem Streich-Arm spielen und machte mich wieder an die Arbeit.
    »Schön, einen arbeitenden Menschen zu sehen.« Eine tiefe, vertraute Stimme von der Tür.
    »Sind Sie der Bursche von der Beschriftungsfirma?« fragte ich, ohne mich umzudrehen. »Ich habe mich für >John Francis Cuddy, Vertrauliche Ermittlungen« entschieden.«
    Er lachte trocken, klopfte gegen die Milchglascheibe in der Tür. »Vielleicht wär’s besser, wenn Sie >Avery Stein, Steuerberater< stehenlassen würden.«
    Ich legte den Roller aus der Hand und deutete auf die Lil’ Oscar -Kühlbox auf dem Schreibtisch. »Wie wär’s mit einem Bier, Lieutenant?«
    »Nein, danke.« Murphy trat vorsichtig ein, gab beim Anblick der feucht schimmernden Wände auf seine Kleidung acht. Murphy, kleiner und schwerer als ich, war der erste schwarze Detective Lieutenant der Bostoner Polizei, ernannt, als ein ansonsten bigotter Stadtrat irrtümlicherweise aus dem Nachnamen auf die Rasse schloß.
    Ich zog die Plastikfolie von einem der Stühle, die ich auf einer Zwangsversteigerung ergattert hatte. »Setzen Sie sich.«
    Auf der Suche nach feuchten Stellen befingerte er kurz Sitzfläche, Arm- und Rückenlehne, machte es sich dann bequem. »Nicht schlecht, der Laden hier.«
    »Danke.«
    Er zappelte ein wenig herum. Ich kannte ihn noch nicht besonders lange, hatte aber noch nie erlebt, daß er so offensichtlich in Verlegenheit war.
    »Womit kann ich Ihnen helfen, Lieutenant?«
    Er runzelte die Stirn, legte den Ellbogen auf die Armlehne und stocherte mit dem Zeigefinger in seinen Zähnen. »Ich bitte nicht gern um einen Gefallen«, sagte er.
    Ich dachte ein paar Monate zurück. »Ich schätze, ich schulde Ihnen noch was.«
    »Wegen der Sache mit der Schrotflinte.«
    »Ja.«
    »Wahrscheinlich haben Sie recht, aber ich frage trotzdem nicht gern.«
    Ich zuckte mit den Achseln. Wir warteten.
    Er rang sich zu einem Entschluß durch. »Es geht um eine Frau, mit der ich vor einer Ewigkeit mal zusammen war. Ihr Sohn steckt bis zum Hals in der Scheiße, und ich möchte, daß Sie sich die Sache mal ansehen.«
    »Was bedeutet: Ich soll ihn da wieder rausholen?«
    »Oder vielleicht auch nur die Bestätigung finden, daß er zu Recht drinsteckt.«
    »In der Scheiße.«
    »Ja.«
    »Um was geht’s?«
    »Sagt Ihnen der Name William Daniels was?«
    »Ja«, antwortete ich. »Aber im
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