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Graues Land - Die Schreie der Toten (German Edition)

Graues Land - Die Schreie der Toten (German Edition)

Titel: Graues Land - Die Schreie der Toten (German Edition)
Autoren: Michael Dissieux
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vergessen konnte. Das Bild ihrer Mutter auf dem Dach des Hospitals. Das Bild ihres Großvaters auf der Veranda seines Hauses. Demi hatte ganz genau gesehen, was Murphy mit ihm gemacht hatte. Jede grauenvolle Einzelheit war auf ewig in ihrer Erinnerung gespeichert.
Da war der Geruch des Schuppens in ihrer Erinnerung. Die Stille, als die Bestien verschwunden waren. Und da war das Kreischen, das in jeder Nacht zu ihr zurückkam. Die Schreie ihrer Mutter, als Alicia sie zerfleischte. Da waren all die Gräuel, die sie mit ansehen musste … Diese Welt würde nie wieder ihr Zuhause sein, dessen war sie sich in dieser Nacht auf dem Boden eines fremden Kinderzimmers sicher. Diese Welt war ihr so fremd wie New Eden. So fremd wie ihr Vater.
So fremd wie ihr eigenes Leben …
Sie nahm den Teddy, gab ihm einen Kuss auf die weiche Stirn und drückte ihn an sich. Vielleicht war er alles, was ihr geblieben war; alles, worauf sie sich verlassen konnte. Er roch nach Staub und tatsächlich nach alter Marmelade.
Die Kerze flackerte leicht. Die Schatten des Zimmers begannen an den Wänden zu tanzen. Die Spielsachen des toten Jungen erwachten zum Leben.
Dann begannen die Schreie. Diesmal nicht nur in ihrem Kopf. Die Luft im Zimmer begann zu vibrieren, der Tanz der Schatten wurde wilder.
XVI
Murphy schlief, doch er träumte nicht.
Seit er seinen alten Kumpel Harv erschossen hatte, träumte er nicht mehr.
Es war nichts mehr übrig. Keine Erinnerungen, keine Gedanken, keine Namen und keine Gesichter. Nur diese endlose, schweigende Schwärze in ihm. Dorthin zogen sich seine Gedanken zurück, ins Nichts.
Murphy schlief … und hörte die Schreie nicht.
Er ließ sich in die ewige Finsternis fallen, mit nichts weiter als einem Teddybären, den er im Arm hielt, und den er in einem verlorenen Leben einmal auf dem Volksfest von Devon für seine Audrey gewonnen hatte.
Die Dunkelheit war kalt.
Er hätte nie gedacht, dass man in der Hölle frieren konnte …
XVII
Der nächtliche Wind war kalt und zerrte an ihren Haaren. Das Nachthemd flatterte wie ein Schleier um ihren abgezehrten Leib. Ihr bandagierter Fuß hinterließ blutige Flecken auf dem Asphalt.
Holly schrie.
Sie hatte ihre kleine Schwester im Stich gelassen. Jetzt schrie sie ihren Namen. Anklagend und voller Zorn. Immer und immer wieder.
»… Erin …«
Der Schrei vibrierte in ihren Gedanken und ließ die Welt um sie herum verschwimmen.
Dann hörte sie Jenny. Ihre Stimme war ein wimmerndes Flüstern. Der Gestank nasser Tiere erfüllte ihre Welt. Sie schmeckte verwestes Fleisch auf ihrer Zunge.
Sie flüsterte etwas, doch durch den Chor der Schreie hörte sie ihre eigene Stimme nicht.
Die Toten schrien laut. Sie zerfetzten ihren Verstand und fraßen sich durch ihren Körper.
Sie wusste, dass sie immer wieder Hollys Namen flüsterte. Erst leise, dann immer lauter. Doch die Schreie in ihrem Kopf überrollten ihre Worte wie eine unheilvolle Woge aus einer längst erloschenen Vergangenheit.
Vor ihr ragte der steinerne Wall auf, der die Lebenden von den Toten trennte. Hollys Schreie wurden lauter. Sie war dort drüben, auf der anderen Seite, und wartete auf sie.
Meg legte ihre Hand auf die Stahlriegel der Tür. Es fühlte sich warm an, als würde das Eisen leben und pulsieren.
Sie öffnete den ersten Riegel …
Holly schrie.
… den zweiten …
Jenny flüsterte ihren Namen.
… den dritten Riegel …
Meg ertrank in einem Morast aus fauligem Gestank. Sie schmeckte den Tod, schluckte ihn und vereinte sich mit ihm.
Etwas drückte gegen die Tür. Zaghaft. Ein Klopfen. Fingernägel kratzten quietschend über Metall.
Meg trat einen Schritt zurück. Blut floss aus ihrem Schoß und an ihren Beinen herab. Sie stand in einer feuchten Lache und roch den Tod, der die Nacht schwängerte.
Die Tür öffnete sich …
… und plötzlich verstummten die Schreie.
Eine erdrückende, greifbare Stille blieb in ihr zurück. Eine schwarze Leere, deren Grund sie nie erreichen würde. Es war, als wären ihre Schwestern durch die offene Tür verschwunden.
Dann hörte sie das Stöhnen. Tiefe, unartikulierte Laute, die sie an Tiere erinnerten. Der Gestank von Moder, Exkrementen und verrottetem Fleisch schlug ihr entgegen und raubte ihr den Atem. Die Finsternis der toten Stadt drückte sich wie eine schwarze Wand durch die Öffnung im Betonwall.
Meg wich einen weiteren Schritt zurück. Sie war allein. Holly und Jenny waren fort.
Dann sah sie die Toten. Bleiche, abgemagerte und zerlumpte Gestalten. Die Augen blind, die Münder
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