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Graues Land - Die Schreie der Toten (German Edition)

Graues Land - Die Schreie der Toten (German Edition)

Titel: Graues Land - Die Schreie der Toten (German Edition)
Autoren: Michael Dissieux
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auf ihren Händen balancierend. Sie hatten zusammen gegessen und eine Flasche Wein getrunken, die sie in einem verstaubten Regal im Keller des Hotels gefunden hatte und für besondere Anlässe aufheben wollte. ›Für ihre Freiheit‹ , meinte Christine, als sie die Flasche präsentierte. Aber ein Abendessen mit Wulf erschien ihr ein besseres Ereignis zu sein.
Der Wein hatte ihre Anspannungen gelöst. Christine lachte viel und erzählte Dinge aus ihrem früheren Leben, wobei sie es vermied, Wulf zu sehr in die Belange ihrer Familie zu involvieren. Er hingegen spürte mit jedem Schluck, den er trank und der seinen Körper mit berauschender Wärme ausfüllte, wie seine Wut und Hilflosigkeit, Joshua und seinem Handeln gegenüber, nachließen.
Seine Gedanken waren den ganzen Abend um die Geschehnisse im Keller der Arztpraxis gekreist. Erst hatte er sich hilflos gefühlt, dann zornig. Irgendwann konnte er Joshuas Beweggründe für einen kurzen Moment verstehen, ehe er wieder kalte Wut in sich aufsteigen spürte. Dazu kam der Umstand, dass eine der Kreaturen – Wulf fand keine andere Bezeichnung für die Infizierten – mitten unter ihnen hauste und keines der anderen Gemeindemitglieder auch nur den Hauch einer Ahnung hatte.
Er wollte mit Christine darüber reden. Ihre Nähe tat ihm gut und er brauchte es, einen Verbündeten auf seiner Seite zu wissen. Allein mit der Kenntnis über Shoemakers Versuche fühlte er sich Stevenson und dem Doktor hilflos ausgeliefert. Doch je mehr Wein sie getrunken hatten, umso nichtiger war ihm sein Ansinnen erschienen. Vielleicht verlor er auch einfach nur den Verstand und ihm fehlte der Abstand, um das Ansinnen von Joshua und dem Doktor nachvollziehen zu können.
Daryll war zu Murphy gezogen, nachdem Demi ihnen am späten Nachmittag mitteilte, dass sie in New Eden ihren Vater wiedergefunden hatte und von nun an bei ihm im Haus leben wollte.
Sie hatten sich geküsst. Es war das erste Mal, dass er den Geruch ihrer Haare bewusst wahrnahm. Doch trotz der Tatsache, dass Wulf und Christine das Zimmer für sich alleine hatten, waren sie beide nicht weiter gegangen, als sich zu küssen und gegenseitig festzuhalten. Auch wenn sie ihr Leben und alles, was es beinhaltete und formte, jenseits des Betonwalls zurückgelassen hatten, so gab es da bei beiden immer noch eine eherne Fessel, die sich auch durch den Genuss eines wirklich guten Weines nicht so einfach leugnen ließ.
Zudem hatten sich die Prioritäten in dieser neuen Welt verschoben. War für viele Menschen in der alten Zeit das körperliche Miteinander das Wichtigste an einem gemeinsamen Leben, so galt dies nun für die bloße Nähe und die Wärme, die einem ein anderer Mensch zu schenken vermochte. Christines Haut zu spüren, ihren Kopf auf seiner Brust wissend und seinen Atem ihren gleichmäßigen, entspannten Zügen anzupassen, bedeutete für Wulf im Augenblick viel mehr als eine zügellose Nacht voller Leidenschaft, die sie beide am nächsten Morgen vielleicht bereuen würden.
Sie spielten ihre eigene kleine Symphonie in dieser Nacht, und das war es, was am Beginn ihres neuen Lebens zählte.
Wulf nahm sich vor, Christine am nächsten Morgen von den Ereignissen in der Arztpraxis zu berichten. Auch wenn seine Wut auf Joshua mittlerweile verraucht war und er – was am Alkohol liegen mochte – die Beweggründe der beiden Männer immer besser nachvollziehen konnte, so hatte der Rest ihrer Enklave dennoch das Recht zu erfahren, was sich mitten unter ihnen abspielte. Was die Menschen in New Eden mit den Informationen anfangen oder mit welchen Augen sie Joshua und Shoemaker in Zukunft sehen würden, lag im Ermessen jedes Einzelnen.
Der Morgen war jedoch noch weit entfernt. Für einige wertvolle Stunden konnten er und Christine sich noch in den wärmenden Schoß der Nacht zurückziehen. Wulf schloss die Augen und lauschte auf den leisen Atem von Christine, der seine Brusthaare kitzelte. Er dachte daran, dass er bei Ellen oft das gleiche behagliche Gefühl verspürt hatte, doch er verdrängte den Gedanken so schnell, wie er entstanden war. Die Zeiten waren andere. Sein Leben war ein anderes.
Als er seinen Engel auf die Stirn küsste und mit seinen Fingern durch das schwarze Haar strich, hörte er zum ersten Mal das Heulen. Dann begannen die Schreie und der Mantel der Nacht zerriss …
XV
Es war still im Haus. Stiller als irgendwo sonst auf der Welt.
Demi saß auf dem Boden des Kinderzimmers und hielt einen abgenutzten Teddybären im Arm. Das
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