Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Grabesgrün

Grabesgrün

Titel: Grabesgrün
Autoren: Tana French
Vom Netzwerk:
–, aber es gibt Kollegen, die das machen, und jeder, der einen Cop verletzt, kann sich auf ein paar Blutergüsse gefasst machen.
    Sie zog amüsiert eine Augenbraue hoch. »Haben sie nicht. Das hätte die ganze Operation gefährdet. Sie brauchen ihn, um an den Lieferanten ranzukommen. Also haben sie einfach eine Neue auf ihn angesetzt.«
    »Aber willst du denn nicht, dass er aus dem Verkehr gezogen wird?«, sagte ich, entnervt von ihrer Ruhe und dem unangenehmen Bewusstsein meiner eigenen Naivität. »Er hat dich niedergestochen.«
    Cassie zuckte die Achseln. »Im Grunde hatte er ja nicht ganz unrecht: Ich hab so getan, als wäre ich seine Freundin, weil ich ihn drankriegen wollte. Und er war ein kaputter Drogendealer. So reagieren kaputte Drogendealer nun mal.«
    Danach wird meine Erinnerung wieder diffus. Ich weiß, dass auch ich bei ihr Eindruck schinden wollte, und weil ich keine Messerstecherei oder Schießerei zu bieten hatte, erzählte ich ihr die lange und ausufernde und größtenteils wahre Geschichte, wie ich einmal, als ich noch in der Abteilung für Häusliche Gewalt war, einen Mann, der mit seinem Baby von einem Hausdach springen wollte, überreden konnte, von da oben runterzukommen (ehrlich, ich muss ein bisschen betrunken gewesen sein: noch ein Grund, warum ich so sicher bin, dass wir heißen Whiskey tranken). Ich erinnere mich an ein hitziges Gespräch über Dylan Thomas, glaube ich, bei dem Cassie auf dem Sofa kniete und gestikulierte, während ihre Zigarette im Aschenbecher verqualmte. Wir nahmen uns gegenseitig auf die Schippe, witzig, aber zögerlich, wie schüchterne Kinder, die einander umkreisen, und nach jeder Frotzelei taxierten wir insgeheim ab, ob wir nicht eine Grenze überschritten oder irgendwelche Gefühle verletzt hatten. Die Cowboy Junkies liefen, und Cassie sang leise mit schöner, rauer Stimme mit.
    »Hast du die Drogen tatsächlich an Studentinnen verkauft?«, fragte ich später.
    Cassie ging Wasser aufsetzen. »Manchmal«, sagte sie.
    »Ist dir das nicht gegen den Strich gegangen?«
    »Mir ist alles an der Undercoverarbeit gegen den Strich gegangen«, sagte Cassie. »Alles.«

    Als wir am nächsten Morgen zur Arbeit kamen, waren wir Freunde. So einfach war das: Wir hatten, ohne zu überlegen, den Samen gesetzt und fanden beim Aufwachen eine schöne große Pflanze vor. In der Frühstückspause fing ich ihren Blick auf und machte eine Handbewegung, als würde ich rauchen. Wir gingen nach draußen, setzten uns im Schneidersitz an die beiden Enden einer Bank, wie Buchstützen. Am Ende der Schicht wartete sie auf mich, schimpfte dabei vor sich hin, wie lange ich brauchte, um meine Sachen zusammenzusuchen (»Als würde man auf Paris Hilton warten. Vergiss deinen Eyeliner nicht, Schatz, sonst muss der Chauffeur nochmal zurück, ihn holen«), und sagte auf dem Weg die Treppe hinunter: »Bier?« Ich kann nicht erklären, welche Alchemie einen einzigen Abend in das Äquivalent von jahrelanger Freundschaft verwandelte. Ich kann nur sagen, dass wir mit einer Sicherheit erkannten, die keinen Raum mehr für Verblüffung ließ, dass wir auf derselben Wellenlänge waren.
    Sobald Costello sie fertig eingearbeitet hatte, wurden Cassie und ich ein Team. O’Kelly sträubte sich zunächst – ihm war nicht wohl dabei, zwei Neulinge zusammenzutun, und außerdem musste er einen neuen Partner für Quigley finden –, aber ich hatte eher durch pures Glück als durch kluge Ermittlungen jemanden gefunden, der zufällig aufgeschnappt hatte, wie ein anderer damit prahlte, den Obdachlosen getötet zu haben, daher hatte ich bei O’Kelly einen Stein im Brett, und das nutzte ich weidlich aus. Er warnte uns, dass er uns nur die einfachsten und die hoffnungslosen Fälle zuteilen würde, »nichts, was echte Polizeiarbeit verlangt«, und wir nickten ergeben und dankten ihm erneut, wohl wissend, dass Mörder nicht so rücksichtsvoll sind, komplizierte Verbrechen nur dann zu begehen, wenn wir dienstfrei hatten. Cassie räumte ihre Sachen in den Schreibtisch neben meinem, und Costello musste sich mit Quigley abfinden, wofür er uns noch wochenlang wie ein gequälter Labrador traurige, vorwurfsvolle Blicke zuwarf.

    Während der folgenden zwei Jahre erarbeiteten wir uns, so glaube ich zumindest, einen guten Ruf innerhalb des Dezernats. Wir nahmen uns den Verdächtigen in dem Totschlagsfall vor und verhörten ihn sechs Stunden lang – obwohl die Tonbandaufnahme, wenn man jedes »Ach, Scheiße , Mann« löschen würde,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher