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Grabesgrün

Grabesgrün

Titel: Grabesgrün
Autoren: Tana French
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hinten in meinen Land Rover und fuhr Cassie nach Hause.

    Sie hatte ein Studioapartment (so nennen Vermieter ein möbliertes Zimmer) im obersten Stock eines heruntergekommenen Jahrhundertwendehauses in Sandymount. Es war eine stille Straße, und die weißen Schiebefenster boten Aussicht über die Dächer bis zum Sandymount Beach. In dem Zimmer standen Holzregale vollgestopft mit alten Taschenbüchern, ein tiefes altes Sofa in einem giftigen Türkiston und ein großes Futonbett mit Patchworkdecke. Es gab keine Bilder oder Poster, eine Handvoll Muscheln und Steine und Kastanien lagen auf dem Fensterbrett.
    Ich erinnere mich kaum an irgendwelche Einzelheiten unseres ersten Abends, und Cassie sagt, dass es ihr ebenso ergeht. Ich erinnere mich an ein paar Themen, über die wir sprachen, einige wenige glasklare Bilder, aber ich könnte keine einzelne Äußerung mehr wiederholen. Das kommt mir eigenartig vor, und manchmal, in gewissen Stimmungen, scheint es mir fast magisch, weil es den Abend in die Nähe jener amnesischen Trancezustände rückt, die im Laufe der Jahrhunderte Feen oder Hexen oder Aliens zugeschrieben wurden, und aus denen niemand unverändert zurückkehrt. Doch diese verlorenen Zeitnester sind normalerweise ein Einzelerlebnis. Die Vorstellung, dass zwei Menschen so etwas gemeinsam erleben, lässt mich irgendwie an Zwillinge denken, die mit blinden Händen langsam in einen schwerelosen und wortlosen Raum greifen.
    Ich weiß, dass ich zum Abendessen blieb – ein Essen fast wie bei Studenten, frische Pasta und Sauce aus dem Glas, heißer Whiskey in hohen Tassen. Ich weiß, dass Cassie einen klobigen Schrank öffnete, der fast eine ganze Wand einnahm, und ein Handtuch herausholte, mit dem ich mir die Haare trocknen sollte. Irgendwer, vermutlich sie, hatte Bücherregale in diesen Schrank eingebaut. Die einzelnen Bretter waren unregelmäßig verteilt und mit einem kunterbunten Durcheinander von Sachen gefüllt: Ich konnte nicht alles erkennen, aber da waren angeschlagene Emailtöpfe, marmorierte Notizbücher, weiche pastellfarbene Pullover, Berge von beschriebenem Papier. Wie der Hintergrund einer Hütte in einer alten Märchenillustration.
    Woran ich mich erinnere ist, dass ich sie schließlich fragte: »Und wie bist du zum Morddezernat gekommen?« Wir hatten darüber gesprochen, ob sie sich schon eingelebt hatte, und ich fand, dass ich die Frage ziemlich locker und beiläufig hatte fallen lassen, aber sie grinste mich verschmitzt an, als würden wir Dame spielen und sie hätte mich bei dem Versuch erwischt, von einem ungeschickten Zug abzulenken.
    »Wo ich doch eine Frau bin, meinst du?«
    »Ich meinte eher, wo du doch so jung bist«, obwohl ich natürlich beides gemeint hatte.
    »Gestern hat Costello mich ›mein Junge‹ genannt«, sagte Cassie. »›Alle Achtung, mein Junge.‹ Dann ist er rot geworden und hat rumgestottert. Ich glaube, er hatte Angst, ich zeige ihn an.«
    »Wahrscheinlich war es ein Kompliment«, sagte ich.
    »So hab ich’s auch aufgefasst. Er ist eigentlich ganz lieb.« Sie klemmte sich eine Zigarette zwischen die Lippen und streckte die Hand aus. Ich warf ihr mein Feuerzeug zu.
    »Irgendjemand hat erzählt, du warst undercover als Nutte eingesetzt und bist dabei einem von den Oberbossen begegnet«, sagte ich, aber Cassie warf mir das Feuerzeug zurück und schmunzelte.
    »Quigley, nicht? Mir hat er erzählt, du wärst ein Spitzel vom MI6.«
    »Was?«, sagte ich entrüstet und tappte schnurstracks in meine eigene Falle. »Quigley ist ein Schwachkopf.«
    »Ach nee, ehrlich?«, sagte sie und fing an zu lachen. Ich musste auch lachen. Diese Spitzelgeschichte wurmte mich – wenn das einer für bare Münze nahm, würde mir keiner mehr irgendwas erzählen –, aber irgendwie amüsierte mich die absurde Vorstellung von mir als James Bond.
    »Ich bin aus Dublin« , sagte ich. »Den Akzent hab ich mir auf dem Internat in England angewöhnt, deshalb red ich so. Das weiß dieser gehirnamputierte Blödmann ganz genau.« Und das stimmte. In meiner ersten Woche im Dezernat hatte er mich dermaßen hartnäckig mit der Frage genervt, was denn ein Engländer bei der irischen Polizei mache – wie ein Kind, das einen in den Arm kneift und »Warum? Warum? Warum?« quengelt –, dass ich endlich meine Verschwiegenheitsregel brach und ihm die Erklärung lieferte. Anscheinend hätte ich mich einfacher ausdrücken sollen.
    »Wie ist das so, mit ihm als Partner zu arbeiten?«, fragte Cassie.
    »Wie eine
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