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Grabesgrün

Grabesgrün

Titel: Grabesgrün
Autoren: Tana French
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Vorfall von häuslicher Gewalt, der heftiger eskaliert war, als selbst der Täter es erwartet hatte, aber da die vorherige Freundin des Mannes unter ungeklärten Umständen gestorben war, schickte das Morddezernat zwei Detectives zu uns. Sie blieben eine Woche, und die ganze Zeit behielt ich die Kaffeemaschine im Auge, wenn ich Schreibtischdienst hatte, um mir einen Kaffee zu holen, wenn die Detectives sich einen holten. Ich trödelte herum und lauschte dem routinierten, harten Rhythmus ihrer Gespräche: Wenn das Drogenscreening vorliegt, sobald wir den Obduktionsbericht haben, und so weiter. Ich kaufte mir wieder Zigaretten, damit ich einen Grund hatte, ihnen nach draußen zu folgen und ganz in ihrer Nähe eine zu rauchen, während ich blicklos zum Himmel starrte und zuhörte. Sie lächelten mir geistesabwesend zu, gaben mir manchmal mit einem abgegriffenen Zippo Feuer, ehe sie mich mit einem leichten Schulterzucken entließen, um sich wieder ihren ausgeklügelten Strategien zu widmen. Wir holen zuerst die Mutter, lassen ihn ein paar Stündchen zu Hause grübeln, was sie wohl erzählt, dann ist er wieder dran. Tatortbilder in den SOKO-Raum, dann schnell durch mit ihm, damit er keine Zeit hat, genauer hinzusehen.
    Wenn Sie vermuten, dass ich Detective werden wollte, um das Geheimnis meiner Kindheit aufzuklären, dann liegen Sie falsch. Ich bin kein Don Quichotte. Ich habe die Akte einmal gelesen, an meinem ersten Tag, spät abends allein im Büro, im einsamen Licht meiner Schreibtischlampe (vergessene Namen hallten mir durch den Kopf wie Fledermäuse, während verblasste Kugelschreibernotizen bezeugten, dass Jamie ihre Mutter getreten hatte, weil sie nicht aufs Internat wollte, dass »gefährlich aussehende« Halbwüchsige abends öfter am Waldrand herumlungerten, dass Peters Mutter einen Bluterguss auf der Wange hatte), und danach nie wieder. Ich sehnte mich vielmehr nach diesen Rätseln, diesen fast unsichtbaren Strukturen, die wie Blindenschrift nur für den Eingeweihten lesbar sind. Die beiden Detectives vom Morddezernat, die damals in die Kleinstadt am Arsch der Welt kamen, waren wie Vollblutpferde, wie Trapezkünstler auf Hochglanz poliert. Sie spielten mit höchstem Einsatz, und sie waren Spezialisten auf ihrem Gebiet.
    Das, was sie taten, war brutal, das wusste ich. Diese Menschen sind skrupellos. Dieses Beobachten mit kalten, wachsamen Augen, dieses behutsame Austarieren der Faktoren, bis der Selbsterhaltungsinstinkt eines Menschen zerbricht, das ist Grausamkeit in ihrer höchstentwickelten Form.

    Bereits Tage bevor Cassie zu uns ins Dezernat kam, hatten wir von ihr gehört, wahrscheinlich schon, ehe ihr die Stelle überhaupt angeboten worden war. Unsere Gerüchteküche ist ungemein effizient. Die Arbeit im Morddezernat ist mit viel Druck verbunden, und wir sind nur zwanzig Leute. Sobald irgendein zusätzlicher Stressfaktor hinzukommt – einer geht, ein Neuer kommt, zu viel Arbeit, zu wenig Arbeit –, entsteht leicht eine Art kollektiver Hysterie, die sich in unübersichtlicher Cliquenbildung und hektischem Tratsch niederschlägt. Ich halte mich normalerweise aus so was raus, aber die Aufregung um Cassie Maddox war so unüberhörbar, dass selbst ich sie mitbekam.
    Erstens einmal war sie eine Frau, was ein gewisses Maß an schlecht verborgener Empörung auslöste. Wir sind alle darauf dressiert, die böse Saat des Vorurteils zu verabscheuen, doch es gibt nun mal den hartnäckigen Hang, den Fünfzigerjahren hinterherzutrauern (selbst bei Leuten meines Alters; in einem großen Teil Irlands endeten die Fünfziger erst 1995, als wir mit einem Satz in die Thatcher-Ära der Achtziger sprangen), als man einen Verdächtigen noch mit der Drohung, seiner Mummy alles zu erzählen, so einschüchtern konnte, dass er lieber ein Geständnis ablegte, als die einzigen Ausländer im Land Medizinstudenten waren und die Arbeit ein Refugium darstellte, wo man vor zänkischen Frauen sicher war. Cassie war erst die vierte Frau, die im Morddezernat anfing, und wenigstens eine von den anderen war ein Riesenfehler gewesen, der legendäre Dimensionen annahm, als sie sich und ihren Partner in Lebensgefahr brachte, weil sie die Nerven verlor und einem gestellten Verdächtigen ihre Dienstwaffe an den Kopf warf.
    Außerdem war Cassie achtundzwanzig und hatte erst vor wenigen Jahren Templemore abgeschlossen. Das Morddezernat gehört zu den Elitedezernaten, in die niemand versetzt wird, der noch keine dreißig ist, es sei denn, er hat
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