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0464 - Gemälde des Grauens

0464 - Gemälde des Grauens

Titel: 0464 - Gemälde des Grauens
Autoren: Jason Dark
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Der Maler strich über seine Stirn. Seine Mutter fiel ihm ein. Sie war eine fantastische Frau gewesen, sie hatte ihn immer beschützt, vor dem Vater und den Brüdern. Ihr hatte er auch sein erstes Bild gewidmet, ein Stilleben mit herrlichen Rosen. Auf der Leinwand sahen sie aus wie frisch gepflückt. Die Mutter hatte sich über das Bild gefreut und ihm eine große Zukunft als Maler vorausgesagt.
    Ja, er hatte weitergemalt. Keine Rosen mehr, überhaupt keine Blumen, andere Dinge.
    Düstere Landschaften, oft monströs und bedrückend, angefüllt mit grauvioletten Schatten, durchflossen von Flüssen mit blutrotem Wasser. Alptraum-Visionen eines Menschen, der tief mit seinem Innern verwurzelt war, dessen Seele fast als Monstrum bezeichnet werden konnte.
    Vargas wußte dies. Er wischte über sein braunes Haar. Es war verklebt. Die Strähnen gingen zusammen. Sie fielen lang bis in den Nacken. Sein Gesicht war blaß, obwohl er von Natur aus einen bräunlichen Teint besaß. In Vargas’ dunklen Augen loderte ein Feuer. Es zeugte davon, daß der Maler innerlich brannte.
    In der Tat steckte Vargas voller Ideen. Er hätte sich sofort hinsetzen und zu Pinsel und Farbe greifen können, er tat es nicht. Statt dessen wollte er sein Bild vernichten.
    Noch trennte ihn die Tür von seinem Atelier, aber das Feuer brannte bereits. Er sah dessen Schein, als er sich einen innerlichen Ruck gab und die Tür aufstieß.
    Der Kamin lag ihm gegenüber. Der Durchzug griff in die Flammen und bewegte sich.
    Sie bestanden aus langen, gierigen Armen, die sich innerhalb des Kamins verteilten, in die Höhe zuckten und auch wie heiße Finger in die verschiedenen Richtungen griffen.
    Für Vargas bedeutete Feuer etwas Wunderbares. Gleichzeitig Leben und auch Tod.
    Auch seine Gestalt wurde angestrahlt, als er sich über die Schwelle begab und mit zitternden Schritten in den Raum hineinschritt. Es war das typische Arbeitszimmer eines Malers. Unter dem Dach lag es. Eine Wand war schräg. Durch sehr große Fenster konnte Tageslicht in den Raum fallen und ihn ausfüllen.
    Jetzt aber war es dunkel. Da zuckte der Widerschein geisterhaft über Wände und Scheiben. Antonio Vargas machte kein Licht. Ihm reichte das Feuer.
    Er blieb stehen und starrte in die Flammen. Sein Gesicht war zu einer schweißnassen Grimasse geworden, über die dunkle Schatten tanzten. Er schaute nicht nach links, wo das Bild stand, das er vernichten wollte. Es kam ihm vor, als hätte er ein schlechtes Gewissen, aber er mußte es tun.
    Wenn nicht, lud er Schuld auf sich.
    Sein Kreislauf war nicht mehr in Ordnung. Vargas spürte, daß er taumelte, und er hatte auch das Gefühl, als würden ihn die Flammen regelrecht anziehen.
    Vor dem Kamin stand der eiserne Korb mit dem Holz. Die zurechtgeschnittenen Kloben hatte er sorgfältig gestapelt. Das Holz war trocken und brannte wie Zunder.
    Er öffnete den Mund. Über seine Lippen drang kein Schrei. Ein stöhnendes Geräusch, als würde er unter großem Druck stehen.
    Einige Minuten dachte er nach, dann drehte er sich abrupt nach links. Einen letzten Blick wollte er auf das Bild werfen. Es war ihm von allen am besten gelungen. Seine sämtlichen Werke zeigten die Angst des Menschen vor dem Grauen, dem Tod, dem Unfaßbaren.
    Nur hatte er sie sonst immer besser verpackt. In Stimmungen, in Landschaftsbildern, aber sein letztes Werk war eben anders geworden. So furchtbar direkt, so echt und unheimlich. Vier Personen waren darauf zu erkennen.
    Keine Menschen, sondern das, vor dem die Menschen eine so furchtbare Angst hatten.
    Monster!
    Vargas schlich auf sein Werk zu. Bei jedem Schritt nahm die Gänsehaut auf seinem Rücken zu. So weit war es mit ihm schon gekommen, daß er Angst vor seinem eigenen Bild hatte. Mit dem Handrücken wischte er sich den Schweiß von der Stirn.
    Dann schälte sich das Viereck der Leinwand aus der Dunkelheit.
    Es stand noch auf einer Staffelei. Bisher hatte Vargas noch keinen passenden Rahmen gefunden, den brauchte er auch nicht mehr.
    Dieses Bild sollte niemand zu sehen bekommen.
    Vielleicht wollte er es dem großen Dichter und Schriftsteller Edgar Alan Poe zeigen. Ihn hatte er einmal kennengelernt und zwei Tage sowie Nächte mit ihm zusammengesessen und über schreckliche Visionen gesprochen. Aber Poe war alt geworden. Er würde das nächste Jahr bestimmt nicht überleben.
    Vargas’ Gedanken brachen ab. Er stand jetzt vor seinem Werk und nahm den dreiarmigen Kerzenleuchter an sich, der auf einem kleinen Tisch direkt
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