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Grabesgrün

Grabesgrün

Titel: Grabesgrün
Autoren: Tana French
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Stuhl. Ich richtete den Blick wieder auf Cassie, die Platz genommen und einen Fuß auf den Stuhl vor sich gestützt hatte, ihr Notizbuch auf dem Oberschenkel.
    Sie war nicht wie ein Detective vom Morddezernat gekleidet. Sie trug eine Cargohose, einen bordeauxroten Wollpullover mit zu langen Ärmeln und klobige Turnschuhe, und ich entnahm daraus die Botschaft: Schaut her, ich bin viel zu cool für eure Konventionen. Die leichte Feindseligkeit, die daraus erwuchs, steigerte ihre Anziehungskraft auf mich. Ein Teil von mir fühlt sich stark von Frauen angezogen, die mir auf die Nerven gehen.
    In den folgenden zwei Wochen nahm ich sie nicht sonderlich zur Kenntnis, nur eben auf diese allgemeine Art, wie man jede ansehnliche Frau registriert, wenn man von Männern umgeben ist. Eingearbeitet wurde sie von Tom Costello, unserem angegrauten Veteranen, und ich untersuchte den Fall eines Obdachlosen, der auf der Straße totgeprügelt worden war. Das deprimierende Aroma seines Lebens hatte sich irgendwie auch über seinen Tod gelegt, und es war einer dieser Fälle, die von Anfang an hoffnungslos sind – keine Spuren, keiner hatte irgendetwas gesehen oder gehört, der Täter war vermutlich so besoffen oder high gewesen, dass er sich nicht mal mehr an die Tat erinnerte –, was meinen frischen Elan ein wenig trübte. Außerdem musste ich mit Quigley zusammenarbeiten, und das klappte nicht. Sein Humor beschränkte sich auf ein Woody-Woodpecker-Lachen, wenn er etwas lustig fand, und mir dämmerte allmählich, dass ich ihm nicht etwa deshalb zugeteilt worden war, weil er den Neuen freundlich behandeln würde, sondern weil sonst keiner etwas mit ihm zu tun haben wollte. Ich hatte weder die Zeit noch die Energie, Cassie näher kennenzulernen. Manchmal frage ich mich, wie lange wir wohl noch so weitergemacht hätten. Selbst in einem kleinen Dezernat gibt es immer Leute, bei denen man nie über ein Begrüßungsnicken auf dem Gang hinauskommt, einfach, weil man nie miteinander zu tun hat.
    Wir kamen uns wegen ihres Motorrollers näher, einer ramponiert wirkenden, cremefarbenen Vespa Baujahr 81, die mich trotz ihres Klassikerstatus immer an eine gut gelaunte Promenadenmischung mit einem Border-Collie im Stammbaum erinnert. Ich nenne sie die Golfkarre, um Cassie zu ärgern; sie bezeichnet meinen verbeulten weißen Land Rover als Kompensationskutsche, dann und wann begleitet von einer mitleidigen Bemerkung über meine Freundinnen oder das Ökomobil, wenn sie rotznäsig ist. Die Golfkarre suchte sich einen besonders nassen, windigen Tag im September aus, um vor dem Präsidium den Geist aufzugeben. Ich fuhr gerade vom Parkplatz und sah die kleine tropfnasse Gestalt in der roten Regenjacke, die aussah wie Kenny aus Southpark , neben ihrem tropfnassen Roller stand und hinter einem Bus herschimpfte, der sie gerade nass gespritzt hatte. Ich hielt an und rief aus dem Fenster: »Brauchst du Hilfe?«
    Sie sah mich an und schrie zurück: »Wie kommst du denn da drauf?«, und dann verblüffte sie mich, indem sie schallend loslachte.
    In den fünf Minuten, die ich versuchte, die Vespa ans Laufen zu kriegen, verliebte ich mich in sie. In der viel zu großen Regenjacke sah sie aus wie eine Achtjährige, es hätten nur noch Gummistiefel mit Marienkäfern drauf gefehlt, und unter der roten Kapuze waren große braune Augen mit Regentropfen an den Wimpern und ein Gesicht wie das eines Kätzchens. Ich hätte sie am liebsten mit einem großen, weichen Handtuch vor einem prasselnden Kaminfeuer abgetrocknet. Doch dann sagte sie: »Lass mich mal – das Dings da muss man so rum drehen.« Und ich hob eine Augenbraue und sagte: » Das Dings da? Frauen und Technik, echt!«
    Ich bedauerte die Bemerkung sofort – ich war noch nie gut in Frotzeleien, und wer weiß, hätte ja sein können, dass sie eine humorlose Radikalfeministin war, die mir im Regen einen Vortrag über Amelia Earhart halten würde. Aber Cassie warf mir einen bewusst koketten Seitenblick zu, klatschte die nassen Hände zusammen und sagte mit hauchiger Marilyn-Monroe-Stimme: »Ooooh, ich hab immer schon von einem strahlenden Ritter geträumt, der kommt und mich befreit! Aber im Traum sah er immer ziemlich gut aus.«
    Was ich da sah, veränderte sich wie durch die klickende Drehung eines Kaleidoskops. Ich hörte auf, mich in sie zu verlieben, und fing an, sie richtig zu mögen. Ich warf einen Blick auf ihre Kapuzenjacke und sagte: »Oh mein Gott, sie haben Kenny getötet.« Dann lud ich die Golfkarre
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