Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Grabesgrün

Grabesgrün

Titel: Grabesgrün
Autoren: Tana French
Vom Netzwerk:
Einbahnstraße ins Irrenhaus«, sagte ich.
    Irgendetwas, ich weiß bis heute nicht was, veranlasste Cassie, ihre Meinung zu ändern. Sie lehnte sich zur Seite, wechselte ihre Tasse in die andere Hand (sie schwört, da hätten wir noch Kaffee getrunken, und ich würde mir nur einbilden, dass es heißer Whiskey mit Nelken und Honig war, weil wir den dann den ganzen Herbst über tranken, aber ich bin mir sicher, ich erinnere mich genau an den würzigen Nelkengeschmack auf der Zunge, den berauschenden Dampf), und zog ihr Oberteil bis knapp unter die Brust hoch. Ich war dermaßen verblüfft, dass ich einen Moment brauchte, ehe ich begriff, was sie mir da zeigte: eine lange Narbe, noch immer rot und geschwollen und mit Nadeleinstichen gesäumt, die sich am Rippenbogen entlangzog. »Ich bin niedergestochen worden«, sagte sie.
    Es war so naheliegend, dass ich mich schämte, weil keiner von uns auf die Idee gekommen war. Ein im Dienst verletzter Detective darf sich seinen Arbeitsbereich aussuchen. Vermutlich hatten wir diese Möglichkeit übersehen, weil es sich normalerweise wie ein Lauffeuer herumspricht, wenn ein Cop niedergestochen wird. Aber wir hatten kein Wort gehört.
    »Mein Gott«, sagte ich. »Wie ist das passiert?«
    »Ich war hier in Dublin an der Uni undercover«, sagte Cassie. Das erklärte sowohl ihre Kleidung als auch die Informationslücke – Undercoverarbeit verlangt strengste Geheimhaltung. »Deshalb hab ich’s so schnell zum Detective gebracht. Auf dem Campus wurde im großen Stil Rauschgift verkauft, und die Drogenfahndung wollte rausfinden, wer dahintersteckt, also brauchten sie Leute, die als Studenten durchgehen konnten. Ich hab als Doktorandin in Psychologie angefangen. Ich hab mal ein paar Semester Psychologie studiert, ehe ich nach Templemore ging, also hatte ich den Fachjargon drauf, und ich sehe jung aus.«
    Das stimmte. Ihr Gesicht hatte eine Klarheit, wie ich sie noch bei niemandem sonst gesehen hatte. Die Haut war porenfrei, wie bei einem Kind, und ihre Gesichtszüge – breiter Mund, hohe, runde Wangenknochen, Stupsnase, lange geschwungene Brauen – ließen andere im Vergleich zu ihr verwischt und unscharf wirken. Ich glaube, sie trug niemals Make-up, nur einen rötlichen Lippenbalsam, der nach Zimt roch und sie sogar noch jünger aussehen ließ. Wahrscheinlich hätten nur wenige sie als schön bezeichnet, aber ich hatte schon immer eher den Hang zu Maßgeschneidertem als zu Markenklamotten, und es bereitete mir weitaus mehr Vergnügen, sie anzusehen als diese geklonten blonden Busenwunder aus den Illustrierten.
    »Und ist deine Tarnung aufgeflogen?«
    » Nein «, sagte sie empört. »Ich hab rausgefunden, wer der Hauptdealer war – dieses hirntote, reiche Jüngelchen aus Blackrock, das natürlich BWL studierte –, und ich hab mich über Monate regelrecht an ihn rangeschmissen, über seine bescheuerten Witze gelacht, seine Referate Korrektur gelesen. Dann hab ich den Vorschlag gemacht, ich könnte doch bei den Studentinnen dealen, weil die bestimmt weniger Hemmungen hätten, von einer Frau Drogen zu kaufen. Er fand die Idee gut, alles lief prima, ich machte erste Andeutungen, dass es einfacher wäre, wenn ich selbst Kontakt zu dem Lieferanten hätte, als das Zeug immer nur über ihn zu kriegen. Aber dann fing unser kleiner Dealer an, ein bisschen zu viel von seinem eigenen Zeug zu koksen – das war im Mai, und er hatte Prüfungen vor der Nase. Er wurde paranoid, meinte, ich wollte sein Geschäft übernehmen, und ist mit dem Messer auf mich los.« Sie trank einen Schluck. »Aber erzähl Quigley nichts davon. Die Operation läuft noch, deshalb dürfte ich eigentlich gar nicht darüber reden. Lass dem armen Trottel ruhig seine Illusionen.«
    Insgeheim war ich unheimlich beeindruckt, nicht nur, weil sie niedergestochen worden war (schließlich, so sagte ich mir, hatte sie ja nichts bemerkenswert Mutiges oder Kluges getan, sondern war einfach nur nicht schnell genug ausgewichen), sondern auch von dem dunklen, aufregenden Gedanken an Undercoverarbeit und von der Beiläufigkeit, mit der sie die Geschichte erzählte. Ich habe hart daran gearbeitet, mir die Aura gleichmütiger Gelassenheit anzueignen, und ich erkenne genau, wenn so etwas echt ist.
    »Mein Gott«, sagte ich nochmal. »Ich wette, die haben ihn nach der Festnahme ordentlich in die Mangel genommen.« Ich selbst habe noch nie einen Verdächtigen geschlagen – ich finde das unnötig, es genügt, wenn sie denken, du könntest es tun
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher